Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
190 Die Nahrungsmittelindustrie. VI. Buch. 
  
Ze mehr die Bevölkerung anwächst und je mehr es notwendig wird, Nahrungs- 
mittel jeglicher Art in Zeiten des Uberflusses für die Zeiten des Mangels aufzubewahren, 
um so dringlicher wird auch die Frage, in welcher Weise die Lebensmittel am besten 
vor dem vorzeitigen Verderben zu schützen sind. Daß die Lösung dieser Frage auch für 
das Heer und die Marine in Friedens- wie in Kriegszeiten, sowie auch für wissenschaft- 
liche Forschungsreisen, für die Verpflegung von Unterrichts-, Kranken- und Gefangenen- 
anstalten und in zahlreichen anderen Fällen von Bedeutung ist, bedarf keiner besonderen 
Ausführung. Daher hat man sich von jeher auch um die Lösung dieser Frage bemüht. 
Kälteindustrie. Einen sehr wichtigen Fortschritt verdankt man hierbei der Ent- 
wickelung der Kälteindustrie, die es heute ermöglicht, in Kühl- 
und Gefrieranlagen Nahrungemittel jeglicher Art längere Zeit hindurch unverändert 
aufzubewahren. 
  
Aber hiermit allein ist es noch nicht getan. 
Es gibt viele Fälle, in denen die Anwendung 
niederer Wärmegrade oder auch andere, seit alter Zeit geübte Verfahren zur Erhaltung 
der Lebensmittel, wie Erhitzen auf bestimmte Wärmegrade, Näuchern, Pökeln u. dgl. m., 
nicht ausreichen und wo man daher zu den chemischen Konservierungsmitteln 
gegriffen hat. 
Der Anlaß hierzu ist nicht zuerst durch die Entwicklung der bakteriologischen Forschung 
gegeben. Schweflige Säure hat man z. B. schon in alten Zeiten zum Reinigen der Wein- 
fässer, durch Ausbrennen mit Schwefel und damit zum Schutz des Weines vor dem 
Verderben benutzt. Aber eine neue Anregung zur ausgedehnteren Verwendung der 
chemischen Konservierungsmittel wurde doch durch die Bakteriologie gegeben, nach- 
dem diese gelehrt hatte, daß die Bakterien und andere lleine Lebewesen, die auch die 
Lebensmittel zu verändern oder zu zersetzen imstande sind, unter der Einwirkung gewisser 
chemischer Stoffe, z. B. Salizylsäure, Borsäure, schweflige Säureund andere Stoffe 
mehr, abgetötet werden. Von der Annahme ausgehend, daß diese Konservierungsmittel, 
wenigstens in lleinen Mengen genossen, dem Menschen nicht schädlich seien, versuchte 
man sie zur Frischerhaltung vornehmlich von Fleisch und Fleischwaren, von Fetten, 
Fruchtsäften und anderen Zubereitungen zu verwenden. Oie Frage, ob dies zulässig 
sei, kam beim Erlaß des Schlachtvieh- und Fleischbeschaugesetzes zum Austrag. Auf 
Grund eingehender sachverständiger medizinischer Gutachten wurde die Verwendung 
einer Anzahl dieser Stoffe, insonderheit auch der Salizplsäure, Borsäure, schwefligen 
Säure und ihrer Salze bei der Zubereitung von Fleisch, Fleischwaren und Fetten ver- 
boten und damit auch die weitere Verwendung dieser Mittel bei der Herstellung anderer 
Nahrungs- und Genußmittel wenn auch nicht förmlich, so doch tatsächlich so gut wie un- 
möglich gemacht. 
Vom gesundbeitlichen Standpunkte aus war dieses Verbot mit großer Freude zu 
begrüßen, zumal nachgewiesenermaßen auch in manchen Fällen ein unverantwortliches 
Übermaß jener Stoffe bei der Zubereitung der Nahrungsmittel verwendet war. 
Chemische Konservierungsmittel. 
  
638
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.