Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Oie Gesamtentwicklung der deutschen ndustrie. 205 
  
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deutschen Zndustrie. wie sie die Statiftik lehrt, kennzeichnet den Fortschritt 
von 1888 bis 1913, sondern er ist ebenso auch durch das innere Wesen der 
modernen Industrie Deutschlands bedingt, wie es sich in der skizzierten Kon- 
junkturentwicklung offenbart: es ist ihre größere Sicherheit und Festigkeit. Die Un- 
sicherheiten und Schwankungen der früheren Perioden haben sehr nachgelassen. Das 
zeigt sich am deutlichsten in der Preisstatistik. Die Preise waren bedeutend stabiler 
als in früheren Zeiten, wenn wir von ausgesprochenen Spekulationsobjekten wie Baum- 
wolle, Kupfer, Kautschuk usw. absehen. Der Bedarf nahm gleichzeitig in einem im 
großen und ganzen gleichmäßig aufsteigenden Grade zu: größerer Wohlstand be- 
wirkte steigende Kaufkraft; mit der zunehmenden Nachfrage wuchs die Beschäftigung 
der Werke, ohne daß häufige und intensivere Rückschläge allgemein eingetreten wären. 
Den Unternehmern und Aktionären brachte die Produktions- und Preisentwicklung 
steigenden Gewinn, den Arbeitern Lohnerhöhungen, Vermehrung und Stetigkeit der 
Arbeitsgelegenheit. Daß diese Blüte der Industrie andauerte, erklärt sich aber nicht bloß 
aus der Zunahme des Bedarfs, also aus der Bevölkerungsvermehrung und dem Wohl- 
standswachstum, sowie der Exportentwicklung, sondern ebenso auch aus der Verbes- 
serung der allgemeinen Organisation der Industrie. Alle unreifen Frühperi- 
oden kennzeichnen sich durch das zusammenhanglose und kraftverschwenderische Neben- 
und Gegeneinanderarbeiten vieler unverbundener Kräfte. In Aufschwungsjahren 
einer solchen Zeit sucht jeder dem lieben Nachbar zuvorzukommen: unterbietet ihn, 
vermehrt im Eifer des Erwerbsstrebens und in der Hoffnung, aus der Gunft des Augen- 
blicks denkbar viel zu profitieren, Betrieb und Produktionsmenge immer mehr ohne 
rechte Ubersicht über Bedarf, Markt und Konjunktur; in den Tagen des Niedergangs 
füblt er sich um so mehr in seiner Bewegungsfreiheit und seinen Geschäftsaussichten 
gehemmt und gehindert. Die letzten 25 Zahre haben darin manche Veränderung zum 
Besseren gebracht. Die Konkurrenzbeschränkung durch Kartelle und Sondikate, der 
Zusammenschluß in Interessenvertretungen, in Branchen- und Zentralvereinen, die Wirk- 
samkeit der Handelskammern, der Zusammenhang von Banken und Industriefirmen 
sind solche Neubildungen, die Verbindungen aller Art hergestellt haben. Da der Haupt- 
augenmerk bei der Tätigkeit der Wirtschaftsorganisationen auf das MUar#e# und möglichst 
harmonische Verhältnis von Angebot und Nachfrage gelegt wurde, waren die Markt- 
vorgänge nicht mehr so zufällig und schwankend wie früher. Alles erschien rationeller 
und notwendiger. Dazu kamen die zahlreichen und wesentlichen Unterstützungen der 
Industrie durch Staat und Kommunen: die Schutzzollpolitik, die Handelsverträge, 
das Patentrecht, besonders auch die Transportpolitik der Eisenbahnverwaltungen. Wie 
wertvoll war es, daß die Eisenbahnen als Staatsbesitz einheitliche Tarifordnungen er- 
ließen und nur hier und da bedrängten Gewerbezweigen oder Gegenden durch Er- 
leichterungen behilflich zu sein suchten. 
Im ganzen ergibt sich eine zunehmenbde Verflechtung der Interessen, 
eine größere Gegenseitigkeit und ein neues System der Arbeitsteilung 
  
  
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