Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Die Gesamtentwiclung der deutschen Industrie. 211 
  
Absatz zu regulieren. Nimmt man diese Erfahrungssätze zusammen mit den oben- 
erwähnten Fortschritten der organischen Einordnung der Industrie in die gesamte Volks- 
und Weltwirtschaft, so wird man sich vielleicht ein deutlicheres Bild davon machen können, 
wodurch die Erfolge der Industrie verursacht sind. 
Stellen wir kurz den Ursachen die Wirkungen des 
gewerblichen Aufschwungs gegenüber, so läßt sich 
sagen, daß die Industrie den beständig wachsenden 
Bedarf einer sich stark vermehrenden, dabei immer anspruchsvolleren Bevölkerung 
hinreichend gedeckt hat; in unvergleichlich viel kürzerer Zeit hat sie einen höheren Er- 
trag als früher geliefert und Knappheit der Güter hintenangehalten. Dabei wurden 
die konsumbereiten Fertigprodukte nicht nur sehr viel mannigfaltiger und zumeist 
auch brauchbarer, sondern ihr größter Teil wurde auch billiger. Zu dieser mehr als aus- 
reichenden Bedarfsdeckung traten die indirekten Folgen, besonders auch die politischen: 
im allgemeinen kulturellen Wettbewerb der Bölker bildete die zunehmende Industria- 
lisierung, zumal sie sich nicht auf Kosten der Landwirtschaft vollzog, einen der wichtigsten 
Faktoren des Fortschritts. Der größere Reichtum, die vielseitigere und bessere Aus- 
stattung mit allen kulturell notwendigen Gütern, die Entwicklung der industriellen 
Landesverteidigungstechnik, der Export von Fertigwaren und die Einfuhr von Noh- 
stoffen, die Belebung des Transports zu Lande und zu Wasser und manches andere 
noch haben die politische Stellung der Nation in der Welt gestärkt. Eine weitere wesent- 
liche Wirkung ist die Blüte und der Reichtum der Städte, die wieder ihrerseits wert- 
volle Kulturträger geworden sind. Ferner wirkte die Vervollkommnung der industriellen 
Technik und die Verfeinerung des Bedarfs darauf, daß immer mehr die minderwertige 
Schleuderware durch Produkte hochqualifizierter #Arbeit ersetzt wurde. Fabrikware 
und Schund gleichzusetzen und ihr das solide Handwerkserzeugnis als mustergültig ent- 
gegenzuhalten, ist heute nicht mehr richtig. Gewiß wird noch genug minderwertiges 
„Zeug“ hier und da fabriziert und in Massen besonders nach dem Auslande (halb- und 
unzivilisierte Länder) vertrieben; dies aber in der Gegenwart als Hauptmerkmal des 
deutschen Exports hinstellen zu wollen, wie es gelegentlich gern von britischer Seite 
geschieht, heißt die Tatsachen in ihr Gegenteil verkehren. 
In den Ruhm, ODeutschlands Volkswirtschaft in solchem Grade gefördert zu haben, 
teilt sich die Industrie in erster Linie mit dem Großhandel; es ist nicht möglich, beim 
Aufweis der allgemeinen kulturellen Wirkungen ihn von der Industrie zu trennen; beide 
haben sich gegenseitig gefördert. 
Werfen wir zum Schlusse dieses Abschnitts noch einen kurzen Blick auf das statistische 
Ergebnis. Darüber schrieb ich in dem genannten Werkenn) „Ein Volk, dessen Kopfzahl 
jährlich um rund 800 000 bis 900 000 wächst, muß dem Gewerbe große Aufgaben stellen, 
von deren Erfüllung es wesentlich abhängt, ob sich die Nation auf der errungenen Kultur- 
höhe behauptet. Auch wird es einen immer größeren Prozentsatz der Bevölkerung in 
die Kreise der Erwerbstätigen ziehen. Waren es 1882 noch 39% , so sind es 1907 43,5%. 
1) Wirtschaft und Recht der Gegenwart, Bd. I. S. 233. 
Wirkungen bes industriellen 
Aufschwungs. 
  
  
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