Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
22 ODie deutsche Landwirtschaft. VI. Buch. 
  
phosikalischen Gesetze für die Erhaltung der Bodenfeuchtigkeit eine Umgestaltung er- 
fahren. An die Stelle veralteter Ackergeräte waren überall moderne Schälpflüge zur 
Erhaltung der Bodenfeuchtigkeit und Vorbereitung der nachfolgenden Tiefkultur ge- 
treten. Drillmaschinen an die Stelle der Breitsaat, Mäh- und Oreschmaschinen an die 
Stelle der Sense und des Oreschflegels usw. 
Oer ganze landwirtschaftliche Betrieb gestaltete sich — alles auf Grund der besseren 
wissenschaftlichen Erkenntnis der Naturgesetze — mehr und mehr zu einem Veredlungs- 
gewerbe im kauf männisch-industriellen Sinne, d. h. zu einer Verarbeitung ge- 
gebener oder käuflich zu beschaffender Rohstoffe oder Halbfabrikate (Kunstdünger, Futter- 
mittel) in hochwertigere Halb- oder Ganzfabrikate — wobei nun namentlich auch 
ein rationeller Bodenhaushalt, d. h. der Gesichtspunkt, den Boden an Pflanzennähr- 
stoffen — an dem Rohmaterial für die Pflanzenerzeugung —nicht auszuplündern, 
sondern möglichst im mer reicher zu speisen, erst zu seinem vollen Recht gelangte. 
Der Berbrauch allein an Handelsdünger stieg dabei von etwa 16 Millionen dz im 
Cahre 1890 auf rund 70 Millionen dz im Werte von etwa 500 Millionen M. im Jahre 1912. 
Oiese gewaltige Entwickelung konnte sich aber naturgemäß auf allen Gebieten nur 
bei dem engsten Zusammenwirken, der innigsten gegenseitigen Unterstützung von 
Wissenschaft und Prazis vollziehen. Deshalb muß als ein besonders günstiger 
Umstand für die Uberwindung der kritischen Lage unserer Landwirtschaft am Ende 
des vorigen Zahrhunderts die bereits im Jahre 1885 durch Max Eyth nach dem Vor- 
bild der Englischen A#ckerbaugesellschaft erfolgte Gründung der Deutschen Landwirt- 
schaftsgesellschaft betrachtet werden. Diese Gesellschaft, welche unter der Leitung 
ihres genialen Führers das englische Vorbild sehr bald völlig überholte, bildete auf 
dem Gebiet rein technischer Vervollkommnung bald den Mittelpunkt einer gewaltigen 
geistigen Zusammenarbeit oder richtiger eines ständigen Widerspieles wissenschaftlicher 
Forschung und praktischer Erprobung. 
Berufsständische Organisation. Von nicht minder großer, ja vielleicht von 
noch größerer Bedeutung als die O. L. G. 
aber wurde in dem Kampf um die Gesundung der deutschen Landwirtschaft deren 
berufsständische Organisation auf gesetzlicher Grundlage, wie sie sich beginnend 
im Zahre 1894, mit dem preußischen Gesetz über die Errichtung von Landwirtschafts- 
kammern in jeder einzelnen preußischen Provinzy, schließlich fast über das ganze 
Deutsche Reich auf den gleichen Grundlagen wie in Preußen ausgebreitet hat. 
Wohl hatte schon vorher die Not der Zeit die Landwirte in immer wachsender Zahl 
zu freien landwirtschaftlichen Lokalvereinen — und diese wieder zu Provinzial- 
oder Landesvereinen zusammengeschlossen. Aber hierbei handelte es sich doch 
immer nur um einen freien Zusammenschluß einzelner arbeitsfreudiger und opfer- 
williger Mitglieder zu gemeinnütziger Arbeit in beschränkterem Umfange. Und wenn 
diese vorausgehende Vereinstätigkeit bei der umfassenderen gesetzlichen Organisation 
des ganzen Berufsstandes auch keineswegs entbehrt werden konnte, sondern sorgfältig 
1) Zn der Provinz Hessen-Nassau, gesondert für die Regierungsbezirke Kassel und Wiesbaden. 
  
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