VI. Buch. Die Gesamtentwicklung der deutschen Industrie. 219
wendiger für das Deutsche Reich: Siedlungsgebiete für den Bevölkerungsüberschußt)
und neue Absatzgebiete für seine Industrieerzeugnisse zu finden. Es ist nicht unwahrschein-
lich, daß der Export nach Großbritannien und seinen Kolonien in Zukunft auf wachsende
Erschwerungen stößt; Ansätze dazu lassen sich in Britisch-Zndien, Australien, Kanada
beobachten. Die Revision des englischen Patentrechts und andere neue Maßnahmen
der britischen Gesetzgebung und Verwaltung vermehren diese Besorgnisse. In Ruß-
land, Südosteuropa, Kleinasien, vor allem auch Südamerika rechtzeitig Ersatz zu finden,
wird notwendig werden. Im ganzen kann man sagen, daß die deutschen Fertigwaren
in den letzten 25 Zahren auch unter ungünstigen Bedingungen überallhin erfolgreich
gedrungen sind. Es ist zu hoffen, daß dieser ausgezeichnete Anfang glücklich fortge-
setzt wird.
3. Beiträge zu einer Abersicht über die Entwicklung der Industrien
konsumbereiter Fertigwaren.
Wenn die großen Fortschritte der deutschen In-
dustrie während der ersten 25 Zahre der Regie-
rungszeit Kaiser Wilhelms II. geschildert werden,
wird uns in erster Linie ein Bild des gigantischen Anwachsens der sog. schweren Indusftrie
entworfen. Vor allem die Entwicklung des Kohlenbergbaues und des Eisenhütten-
wesens und ihr einflußreicher Zusammenschluß in starken Verbänden, ihre erfolgreiche
Konkurrenz mit England lenken den Blick auf sich. Weiter wird man gerade bei der Dar-
stellung der deutschen Industrie die Entfaltung der chemischen und der Elektroindustrie
in den Vordergrund stellen. Bei ihnen läßt sich das segensreiche Zneinandergreifen
von wissenschaftlicher Technik und Wirtschaft am deutlichsten dartun. #hnliches gilt
für die Maschinenindustrie, in der z. B. die lehrreiche Entfaltung der aufblühenden deut-
schen Werkzeugmaschinenfabrikation hervorgehoben zu werden verdient. Die Textil-
industrie ist ferner dasjenige Großgewerbe, an dem sich in ganz Europa das Fabrik-
spstem erst entwickelt hat; besonders die ältere Industriegeschichte muß an das Aufblühen
der mechanischen Spinnereien und Webereien anknüpfen. Ahnliche Entwicklungsbedin-
gungen wie die chemische zeigt die ihr verwandte, manche spezifisch modernen Züge
aufweisende Industrie der Steine und Erden; die zu dieser Gruppe gehörige Zement-
industrie ist geradezu ein Musterbeispiel für die neueste Industriegeschichte. Die mannig-
fachen Umgestaltungen des volkswirtschaftlichen Lebens und die Zurückdrängung des
alten Handwerkertums treten aufs konkreteste in der Entwicklung der Nahrungemittel--
industrie hervor. Es war deshalb auch ein naheliegender Gedanke, diesen sieben umfang-
reichen Industriegruppen besondere Abhandlungen zu widmen. Oie meisten der behan-
delten Großgewerbezweige liefern Roh- oder Halbstoffe für die weitere Verarbeitung oder
stellen, wie vor allem die Maschinenindustrie, Produktionsmittel für die Erzeugung von
Konsumgütern her. Dort aber, wo es sich bei den genannten Gruppen — wie teilweise
1) Vorausgesetzt, daß der Geburtenrückgang nicht wächst.
Rohstoff-, Lalbstoff- und
Fertigwaren-Industrie.
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