Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
2 Die Gesamtentwicklung der deutschen Znduftrie. VI. Buch. 
  
beit in der Lieferung, hochqualifizierte Arbeit sind besonders notwendig. Diese Ver- 
ebelungsindustrien (im engeren Sinne des Wortes) schaffen Produkte, deren Wert 
vor allem in der aufgewandten (menschlichen und mechanischen) Arbeit besteht. Sie 
werden sich gewöhnlich dort entfalten, wo ein intelligenter und möglichst kultivierter 
Menschenschlag die persönlichen Arbeitskräfte zu stellen imstande ist, wo aber andrerseits 
die Rohstoffe (Kohle, Erze, Steine, Erden, Holz, Wolle usw.) selten und teuer sind und 
auf ihrer Herbeischaffung hohe Transportkosten ruhen. Leicht erreichbare mineralische 
und botanische Naturschätze ziehen die „schweren“ Industrien heran: so in Niederrhein-= 
land-Westfalen, Oberschlesien, Lothringen-Luxemburg, Siegerland, an der Saar. Dort, 
wo sie erst aus der Ferne herbeigeschafft werden müssen, aber eine dicht gesiedelte, 
geweckte und an städtische Kultur gewöhnte Bevölkerung vorhanden ist, stehen wir auf 
dem geeignetsten Boden für die Verfeinerungsindustrie: so in Württemberg, im König- 
reich Sachsen, Teilen von Thüringen, in Städten wie Berlin, Köln, Breslau, Dres- 
den usw. 
Daß sich, wie gesagt, oft auf die Herstellung unscheinbarer Artikel die größten Firmen 
gründen, dafür gibt es viele Beispiele. Diese Art der Spezialisation haben in Deutsch-- 
land gerade die letzten 25 Jahre herausgebildet. Nehmen wir ein beliebiges Beispiel: 
den Druckknopf „Koh-i-noor“, einen unscheinbaren Bestandteil der Damengarderobe. 
In seine vielgestaltige Massenfabrikation teilen sich (nach den Angaben der Firma) zurzeit 
die Fabriken von Waldes &K Co. in Dresden, Prag und Wrschowitz, „welche zugleich die 
Zentralen für die kaufmännische Verwertung der Ware auf dem bewohnten Erdball 
sind. Außerdem besitzt die Firma Filialen in Wien, Paris, London, Neupork und 
Montreal“1). Oder ein ganz anders geartetes Beispiel von Großunternehmungen in 
einem engen Spezialfach: ein Beispiel aus dem Bauwesen, in dem für die Spezialisation, 
wie man zunächst glauben möchte, nur geringe Möglichkeiten vorhanden zu sein scheinen: 
nämlich die Mühlenbauanstalt und Maschinenfabrik vorm. Gebrüder Seck, Dresden: 
Nach den Angaben der Firma beläuft sich die Betriebskraft in ihren Werkstätten auf 
750 PS. Etwa 570 Werkzeugmaschinen und 120 Holzbearbeitungsmaschinen dienen 
zur Herstellung und Bearbeitung der einzelnen Maschinenteile. Während der Betrieb 
bei Begründung der Aktiengesellschaft (1886) nur 216 Personen aufwies, zählt das Per- 
sonal heute 2400 Köpfe. Seit Mitte der 80er Jahre sind von der Firma mehr als 2000 Ge- 
treidemühlen mit einer Gesamtleistung von rund 30 Millionen Kilogramm pro Tag errichtet 
worden, darunter die größten Werke Europas mit einer Tagesleistung bis zu 660 000 kg. 
Sie hat im Auslande 14 eigene Zweigbureaus und Vertretungen in allen Hauptstaaten 
der Welt#. 
Werfen wir noch einen kur- 
zen Blick auf die Industrie 
zweier nichtpreußischer Staaten, nämlich Württembergs und Sachsens, und verfolgen 
wir danach die eine oder andere Entwicklungstendenz aus der Uhren-, Leder-, Schuh-, 
Die Industrien Württembergs und Sachsens. 
  
1) Aus der „Sachsen-Nummer" der „Leipziger Illustrierten Zeitung“. 
) Ugl. den illustrierten Katalog der Firma. 
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