VI. Buch. Die Gesamtentwicklung der deutschen Industrie. 223
Papier- und Kautschukindustrie, soweit ein Eingehen auf ihre Entwicklung zur Verdeut-
lichung der Industriegeschichte der Jahre 1888 bis 1913 beitragen kann?z;:
Für die Industriegeschichte Württembergs liegt in dem — oben bereits genannten —
Werke Hubers ein sehr sorgfältiges und zuverlässiges Dokument vor. Es kann nicht
Fiel dieser wenigen Seiten sein, hier an seiner Hand auf dem Wege statistischer WMittei-
lungen ein vollständiges Bild zu geben. A#ber einige Spezialausführungen, welche die
vorausgehenden allgemeineren Darlegungen beispielsweise ergänzen sollen, seien Huber
entnommen: Auch für Württemberg gilt, daß mit Anfang der 50er Zahre die eigent-
liche Industrialisierung begonnen hat, aber erst in den letzten 25 JZahren zur Blüte gelangt
ist. Da der Bezug der wichtigsten Rohstoffe für dieses süddeutsche Gebiet, das abseits
von den großen Kohlen- und Eisenbezirken liegt, teuer ist, sahen sich die dortigen Unter-
nehmer von Anfang an auf die Qualitätsindustrie angewiesen. „Die eine Gruppe der
Spezialitäten stellt sich (nach Huber) in der Metall-, Messer-, Uhren-, Trikot- und Korsett-
industrie dar, die andere Gruppe umfaßt — außer der Chemikalienfabrikation — nament-
lich die verschiedenen Kunstgewerbezweige. Dabei sind in Württemberg, abgesehen
von dem Maschinenbau, der mechanischen Spinnerei und Weberei, der Zucker- und Papier-
fabrikation alle Fabriken aus kleinen Anfängen erwachsen.“ (S. 56.) Württembergische
Spezialindustrien sind weiter z. B. „die Bettfedern- und Linoleumindustrie, Stickerei
und Strickerei, Konfektion, Fabrikation von Verbandstoffen, chirurgischen Instrumenten,
Zichorie, Eierteigwaren, Konserven, Kraftfahrzeugen, Zweige der Elektrotechnik, Luft-
schiffahrt, Fabrikation von Möbeln, Holzwaren, Kinderwagen, Piano-- und Harmonika-,
der Leder- und Schuhwareninduftrie, der Wichsefabrikation“. Natürlich soll damit nicht
behauptet sein, daß diese Industriezweige nicht auch anderswo vorkommen; aber daß
sie sich auch in Württemberg aus meist lleinen Anfängen — bisweilen dadurch, daß sich
zunächst ein einfacher Handwerksmeister auf die Herstellung eines Spezialartikels legte —
entfalteten und wieder zum Stützpunkte neuer Industrien wurden, die anfangs nur ihre
Hilfsgewerbe waren, soll hervorgehoben werden. Hauptzweige der besonders feingeglie-
derten Spezialisierung in der Metallverarbeitung sind „Edelmetallwarenindustrie (Gmünd,
Heilbronn) mit 5000 Arbeitern, die Metall-Legierung (Geislingen) mit 6000, die Lackier-
und Blechwarenfabrikation (Eßlingen, Ludwigsburg) mit 2700 Arbeitern, die Uhren-
industrie (9000 Arbeiter), die Fabrikation der chirurgischen Instrumente (Tuttlingen
2500), eiserner Gartenmöbel (Schorndorf), sowie die Herstellung von Feilen und Kassen-
schränken (Eßlingen, Stuttgart, Aalen). Diese acht Spezialitäten beschäftigen zirka
27000 Arbeiter. In dem letzten Zahrzehnt kommen neue Industrien auf, z. B. mit
der Fabrikation von Filz- und Metallspielwaren, Gelatine, Kunstbaumwolle, Brieford-
nern, Geschäftsbüchern u. a.“ (S. 57). Forscht man nach den Ursachen, warum der eine
oder andere Spezialzweig der Fertigwarenindustrie gerade hier gedieh, so sind es nicht —
wie bei der schweren Industrie — in der Hauptsache sachliche Momente, sondern (wie
auch Huber betont) persönliche. Immer sind es bestimmte Männer, die als Bahnbrecher
1) Für diese Wahl war maßgebend, daß wir hierüber etwas mehr Literatur besitzen, als über andere
Gebiete oder Zweige der Fertigwarenindustrie. Es fehlt hier noch sehr an geeignetem Material; z. B. über
die interessante Schirmfabrikation ist mir keine brauchbare Veröffentlichung bekannt.
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