230 Die Gesamtentwicklung der deutschen Industrie. VI. Buch.
lands in den letzten 25 Jahren verknüpft sind, ist die wichtige Gummiindustrie. Im
Bezuge ihres hauptsächlichen Rohmaterials, des Kautschuks, ist sie ganz auf die welt-
wirtschaftlichen Beziehungen angewiesen, da dieser Stoff ein rein tropisches oder sub-
tropisches Erzeugnis ist. Er besteht aus dem eingetrockneten Milchsaft zahlreicher Pflanzen
der heißen Zone, unter denen die Hevea an Bedeutung hervorragt. Noch vor 10 Jahren
kam der meiste Kautschuk aus den Urwäldern Südamerikas; seitdem ist ein Umschwung
zugunsten des Plantagenkautschuks Ostindiens eingetreten. Die malatische Halbinsel
und Sumatra sind die zukunftsreichen Lieferungsgebiete, daneben kommen Ceylon,
Java, sowie die anderen Inseln Holländisch-Indiens vorwiegend in Betracht. Die
Südsee, Südindien und Birma liefern gleichfalls beträchtliche Mengen. Die deutsch-
afrikanischen Kolonien versenden wachsende Mengen, sie befinden sich allerdings
gegenwärtig bei der herrschenden Kautschukkrisis in einer besonders schwierigen Lage
gegenüber ihren Konkurrenten. Wenn auch Mittel- und Südamerika ihr Monopol
eingebüßt haben, so versenden doch Meziko, Brasilien, auch Westindien noch beträchtliche
Mengen. Auch aus Afrika kommt, abgesehen von den bereits erwähnten deutschen
Kolonien, Kautschuk. Die hochentwickelte Industrie, die diese tropischen Erzeugnisse
zu Waren aus Weich- und Hartgummi verarbeitet, ist also eng mit der Kolonialwirtschaft
und dem Seeverkehr verknüpft. Die zahlreichen, sehr interessanten Spekulationen in
diesem Artikel — auf eine gewaltige Hausse in den letzten Jahren ist gegenwärtig eine
Depression gefolgt, die teilweise in Uberproduktion ihre Ursache hat —, die Konkurrenz
mit Ersatzmitteln wie dem künstlichen Gummi, die Nitverarbeitung von Altgummi
geben ihr auf der einen Seite das Gepräge. Auf der anderen sind es die Beziehungen
zum Konsum, besonders die ständige Ausdehnung der Gebrauchsmöglichkeiten für Gummi,
aber auch das Suchen nach Erweiterung der Verwendungszwecke, die interessieren.
Hierher gehört der Kampf mit dem Linoleum, also die Frage: wird es gelingen, Matten
und Fußbodenbelag aus Gummi so billig herzustellen, daß diese Erzeugnisse das Linoleum
verdrängen oder seinen Gebrauch beschränken? Besonders dem Hartgummi hofft man
neue Gebiete zu erschließen: als Spielwaren, für Toilettengegenstände, an Stelle von
Porzellan und Tonfliesen usw.
Aachdem man schon in den 2er Jahren des vorigen Jahrhunderts wasserdichte
Stoffe unter Verwendung von Kautschuk herzustellen versucht hatte, datiert der erste
industrielle Aufschwung auch in diesem Gewerbe von der Mitte des 19. Jahrhunderts.
In den 40er Jahren hatten Hancock und Goodpear die Bulkanisierung des Kautschuks
erfunden; sie erkannten, daß Kautschuk bei erhöhter Temperatur mit Schwefel eine Ver-
bindung zu einem neuen Körper eingeht, der viel schwerer löslich ist als Rohkautschuk
und der bei niedriger und hoher Temperatur elastisch bleibt:). Die hohe Blüte der In-
dustrie fällt aber erst in die Zeit seit Beginn der 90er Zahre. Das Jahr 1892 brachte
die einschneidendste Veränderung in der Fahrradbereifung, den Preßluftreifen mit
Luftschlauch. Anfang dieses Jahrhunderts ist es das Aufkommen der Kraftwagen und
die Blüte der Elektrizitätsindustrie, die eine erneute Hausse herbeiführte, während gleich-
) Aus dem mir freundlichst zur Verfügung gestellten Material der Continental-Caoutschouc= und Gutta-
percha-Co., Hannover.
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