Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
242 Her auswärtige Handel. VI. Buch. 
  
den Preis von 1891 fefthalten wollen, so würde es dazu statt 35 M. eines Zolls von 
123 bezw. 128 M. per Tonne bedurft haben! Weiter ist zu beachten, daß, wie schon be- 
merkt, die Preise von 1891 Teurungspreise waren, deren Aufrechterhaltung untunlich 
erschien. Mitte der achtziger Jahre hatten die Preise zeitweilig nicht viel höher gestanden 
als 1894. 
Zmmerhin muß zugegeben werden, daß die Lage der körnerbauenden Landwirt- 
schaft in jenen Jahren in der Tat äußerst kritisch war. Nur das muß bestritten werden, 
daß die Ermäßigung des Zolles um 15 M. bierzu wesentlich beigetragen hat. Will man 
die Handelsverträge mit jener Kalamität in Verbindung bringen, so kann es nur in dem 
Sinne geschehen, daß die Bindung des Tarifs eine den Weltmarktpreisen folgende 
Erhöhung des Zolls — bie, wie gezeigt, allerdings den Satz von 1887 mindestens 
hätte verdoppeln müssen, wenn ein voller Ausgleich hätte herbeigeführt werden sollen 
— verhinderte. Die Bedeutung der Caprivischen Politik lag, dies muß immer wieder 
mit Schärfe betont werden, keineswegs in der Höhe der Zollsätze, sondern in deren 
Bindung. Dies ergibt sich u. a. auch aus der Weiterentwicklung der Brotgetreide- 
preise während der Gültigkeitsdauer der Handelsverträge. Es kostete in Berlin 
im LZahre Weizen Roggen im JZahre Weizen Roggen 
1804.. ... .... 136 M. 118 M. 19000 152 M. 143 M. 
1895 143 „ 120 „ 19001 164 „ 141 „ 
1—VO0U„GP öö)" 156 „ 119 "„ 19002 163 „ 14 „ 
1897 174 „ 130 „ 19063683 161 „ 132 „ 
1898 1— 146 „ 19004tß 174 „ 133 „ 
18990909 155, 146 „ 19068 175 „ 152 „ 
Für diese ganze Zeit hat derselbe Zoll bestanden, und trotzdem ergab sich eine sehr 
unterschiedliche Preisentwicklung, die eben in den Weltmarktverhältnissen begründet lag 
und teilweise Sätze erreichte, die zu Anfang der neunziger Jahre auch von den Gegnern 
der Caprivischen Politik als ausreichend erachtet wurden und die im Frühjahr 1898 so- 
gar zu Erörterungen im Reichstag darüber führten, ob der Zoll nicht zeitweise herab- 
gesetzt werden müsse. Hiergegen wandte sich aber besonders scharf das Zentrum: „Wir 
wollen unter der Herrschaft des 3½ M.-Zolles bei steigender Konjunktur den Landwirten 
den Vorteil von den hohen Preisen lassen, nachdem sie bei niedrigen Preisen den Nach- 
teil gehabt haben.“ (Lieber.) 
Im Grunde genommen ist deshalb die Situation der deutschen Landwirtschaft, 
soweit sie am Körnerbau interessiert war, während der Zeit der Caprivischen Handels- 
verträge so zu beurteilen, daß mit dem Inkrafttreten der Verträge zufällig 
ein internationaler Preissturz zusammenfiel, der zu einer unverkennbaren Not- 
lage führte, die zeitweilig eine Erhöhung der Getreidezölle als dringend erwünscht er- 
scheinen ließ, ohne daß diese infolge der Bindung des Tarifs möglich gewesen wäre. 
Von Mitte der 90er Jahre ab aber änderte sich das Preisniveau auf dem Weltmarkt 
und damit auch in Deutschland so sehr, daß von einer „Notlage“" nicht mehr die Rede 
sein konnte. Hierbei ist freilich zu beachten, daß um die Wende des 19. Jahrhunderts 
die schon in den 70er Zahren erkennbar gewordene Preissteigerung des landwirt- 
schaftlich benutzten Bodens ganz ungewöhnlich starke Fortschritte machte und 
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