Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Der auswärtige Handel. 251 
  
diesem auf manchen Gebieten agrarischer Produktion sogar überlegen ist. Die Marzistische 
Konzentrationstheorie trifft, wie heute allgemein feststeht, für die Landwirtschaft über- 
wiegend nicht zu. Die soziale Differenzierung in der Industrie (zunehmende Abhängig- 
keit) erhält demnach durch diejenige in der Landwirtschaft ein starkes und sehr erwünschtes 
Gegengewicht, indem sie uns einen wirtschaftlich selbständigen produktiven Mittelstand 
sichert. 
Bei aller Schätzung der Industrie und 
der Anerkennungihrer überragenden Stel- 
lung im neudeutschen Wirtschaftsleben kann deshalb keine Rede davon sein, daß die Land- 
wirtschaft zu ihren Gunsten vernachlässigt werden dürfte. Beide, Industrie und Land- 
wirtschaft, sind integrierende Bestandteile der deutschen Volkswirtschaft, die durch eben 
diesen Dualismus ihren entscheidenden Charakter erhält. Und jede, wie immer 
geartete Handelspolitik hat dem Rechnung zu tragen. Es ist ausgeschlossen, 
daß etwa die deutsche Handelspolitik dauernd im Sinne der Förderung des einen 
oder des andern Wirtschaftszweiges geleitet würde. Ihre wesentlichste Aufgabe wird 
sie immer darin sehen müssen, eine gleichmäßige Pflege von Industrie und 
Landwirtschaft durchzuführen. Es liegt auf der Hand, daß hierdurch die Situa- 
tion bei dem Abschluß von Handelsverträgen nicht erleichtert wird, denn es fehlt an 
den bei ausschließlicher Pflege eines Wirtschaftszweiges zur Verfügung stehenden 
Kompensationsobjekten. 
Untersuchen wir nunmehr, inwieweit die neueste Ara der deutschen Handels- 
politik solcher Doppelaufgabe gerecht geworden ist. Dabei möge die früher für 
für die Darstellung der Caprivischen Zeit gewählte Anordnung Platz greifen, d. h. die 
Untersuchung getrennt für Landwirtschaft und Industrie durchgeführt werden. 
Doppelaufgabe der Handelspolitik. 
  
Beginnen wir mit der am Körnerbau interessierten Landwirtschaft. 
Die Einfuhr und Ausfuhr von Getreide in das deutsche Zollgebiet 
bat sich in den letzten Zahren wie folgt entwickelt: 
Körnerbau. 
  
  
1890 1900 1912 
Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr Einfuhr Ausfuhr 
in in Mill. in in Mill. in in Mill. in in Mill. in in Mill. in in Mill. 
TonnenMk. Tonnen Mk.Tonnen Mk. TonnenMk. Tonnen Mk. TonnenMk. 
  
Weizen orr s 10411206 004 12 3864 172,8 295 Os0 39,5 2297422 395,8 322489 63,4 
  
  
  
  
  
  
  
  
  
Roggen 487990398, 11190,02893 100,276 09 8,6 31572345,8 797 316 125,4 
Hafer 1t 7121,8 451% 12 44 91,6 385 208 61,9 
Malzgerste . 39,5 
— os 292 98,06 781458892,8 30 9n 4,5 2969 43 406 11556 0),2 
Auf dieser Tabelle fällt zunächst in die Augen, daß trotz stark zunehmender Getreide- 
einfuhr auch die Ausfuhr im letzten Jahrzehnt eine ansehnliche Steigerung erfahren 
bat, die zum erheblichen Teile auf die Institution der Einfuhrscheine zurückzuführen ist. 
Der reine Einfuhr- bezw. Ausfuhrüberschuß — stellte sich in den angegebenen Jahren 
wie folgt: 
699
	        
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