Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Der auswärtige Handel. 255 
  
Im Durchschnitt der Zahre 1907—1912 (neue Regelung der Einfuhrscheine) ergibt 
sich eine Preisdifferenz von 49,5 M., also etwa in der Höhe des Börsenwertes der 
Einfuhrscheine per 1000 kg. 
Wenn man nun der Meinung ist, daß 
angesichts der gestiegenen Produktions- 
kosten und Bodenpreise der Weizen durchschnittlich einen Preis von etwa 195 M., der 
Koggen von 175 M. haben muß, um eine hinreichende Rentabilität des Getreidebaues in 
Deutschland zu sichern, so läßt sich nicht verkennen, daß ohne die Zollerhöhung dieser 
Preisstand beim NRoggen überhaupt nicht, beim Weizen mit Ausnahme des Jahres 1909 
nicht erreicht worden wäre. Insonderheit würden die Roggenpreise in den letzten 
Jahren eine Entwicklung genommen haben, die mit den heutigen Pro- 
duktionskosten nicht im Einklang zu bringen gewesen wäre. Es rechtfertigt sich 
deshalb die Auffassung, daß die Erhöhung der Zölle für den Getreidebau eine im 
ganzen erwünschte Maßnahme war, die in etlichen der Vergleichsjahre zwar völlig 
überflüssig gewesen wäre, durchschnittlich jedoch jene Preisentwicklung sicherte, die — wie 
die Dinge nun mal liegen — in Deutschland notwendig ist. Dabei ist im Auge zu be- 
balten, daß ein Getreidezoll, der für 12 Jahre festgelegt werden soll, nicht nach den 
möglichen höchsten Preisen normiert werden darf, sondern den starken Preis- 
schwankungen gerecht werden muß. Solange deshalb an dem festen Zoll festgehalten 
wird, sind ungewöhnlich hohe Preise bei steigenden Weltmarktpreisen nicht zu umgehen, 
wem auch bei niedrigen Weltmarktpreisen ein dem deutschen Getreidebau die Rentabilität 
sicherndes Preisniveau erhalten werden soll. Es läßt sich nicht verkennen, daß damit der 
übrigen Bevölkerung, insonderheit der Industrie, schwere Opfer auferlegt werden, die 
im Konkurrenzkampf auf dem Weltmarkt ihre Wirkung tun. Soll aber der Getreide- 
bau in Deutschland auf der Basis der jetzigen Bodenpreise erhalten bleiben, so läßt 
sich dies nicht vermeiden. Doch auch von hier aus drängt sich die Frage auf, ob diese 
Opfer nicht dadurch der Minimalgrenze näher gerückt werden könnten, daß, inner--- 
halb des Sostems der Handelsverträge, eine gleitende Skala für Getreidezölle 
normiert würde, die zwar auskömmliche Preise sicherte, ungewöhnlich hohe Preise 
aber verhinderte. Im übrigen wird uns das „Industrieproblem“ weiter unten beschäf- 
tigen. 
Wenden wir uns jetzt noch kurz den andern Getreidearten, Hafer und Gerste, zu. 
Die Mehreinfuhr von Hafer spielt keine nennenswerte Rolle (35—4 % des Bedarfs), 
während Gerste heute bereits zu 46% aus dem Ausland bezogen wird. Von den in 
Deutschland im Jahre 1912 netto bezogenen 29,7 Mill. Doppelzentnern waren nur 
2,1 Mill. Doppelzentner Malzgerste, die mit 4 M. verzollt wird, während der Rest auf 
wandere Gerste“, Futtergerste, (1,30 M.) fällt. Der deutschen Viehzucht ist dadurch im 
letzten Zahre eine Erhöhung der Produktionskosten um 35,8 Mill. M. auferlegt worden, 
sofern davon ausgegangen wird, daß auch dieser Zoll vom Inland getragen wird, was 
aber nur teilweise der Fall ist. Die Preisentwicklung für Gerste und Hafer hat seit 1902 
die folgende Entwicklung genommen: 
Getreibepreise und Produktionskosten. 
  
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