VI. Buch. Binnenhandel. 281
sind und deshalb auch am Handel ihre Spuren hinterlassen mußten. Namentlich gilt
dies für den Detailhandel.
Trotz seiner Beweglichkeit ist der Detailhandel im Grunde ein konservatives
Gewerbe. Dank der Zähigkeit, die ihm innewohnt, vermag er bestehende Verhältnisse
auch dann noch für eine gewisse Zeit aufrechtzuerhalten, wenn sie den veränderten
Bedürnissen nicht mehr genügen. Die primitive Art, in der die Vorfahren das Handels-
geschäft betrieben haben, ist keineswegs aus der Welt verschwunden, man begegnet ihr
vielmehr auch heute noch, namentlich auf dem platten Lande und in Kleinstädten. Wo
Beschränktheit des Verkehrs, lokale Eigenart usw. die Festhaltung alter Formen und Ge-
wohnheiten gestatten, wird der Konflikt zwischen früher und jetzt nicht zu Tage treten. Wo
aber der fortschreitenden Verkehrsentwicklung keine Hindernisse im Wege liegen, wo tau-
send und abertausend findige Geister bereit sind, jede Entdeckung und Erfindung in die
Praris überzuführen, geraten diejenigen kaufmännischen Betriebe unter die Räder, welche
sich nicht rechtzeitig modernisieren. Das Schlachtfeld, auf dem die Opfer fallen, wird ins-
besondere durch die großen Städte gebildet, reicht aber auch noch in die Mittelstädte bin-
ein. Die Rückständigkeit, die sich an einzelnen Stellen des Handels zu halten vermochte,
hat in den großen Städten völlig ausgespielt.
Indes können die Klagen, welche aus den Kreisen der Detaillisten ertönen und im
Laufe der letzten zwei Jahrzehnte nicht leiser, sondern lauter geworden sind, nicht einfach
mit dem Bemerken abgetan werden, daß es sich hier lediglich um den Kampf zwischen den
Mächten des Fortschritts und Rückschritts handle. Es unterliegt keinem Zweifel, daß die
weitaus überwiegende Zahl der Detailgeschäfte der Großstädte von dem Vorwurfe der
Kückständigkeit nicht getroffen wird. Wenn aber gerade hier die Behauptung am ein-
dringlichsten verfochtten wird, daß die Lage des Kleinhandelsgewerbes überaus schwierig
sei, so müssen die Gründe in Tatsachen zu suchen sein, die mit der Rückständigkeit der Be-
triebe nichts zu tun haben. Es sei dies kurz erläutert.
Wir haben den Handel ein menschenarmes Gewerbe genannt, man kann ihn weiter ein
kapitalarmes nennen, namentlich wenn man den Bergleich mit der Industrie zieht.
Während hier das stehende Kapital in der Form koftspieliger Anlagen, Maschinen usw.
eine große Rolle spielt, ohne daß aber deshalb die Bedeutung des umlaufenden Ka-
pitals, der Betriebsmittel, in den Hintergrund tritt, ist die Gründung eines Handels-
betriebes in zahlreichen Fällen auch denjenigen möglich, welche nicht kapitalkräftig sind.
Der Schwerpunkt liegt beim kaufmännischen Gewerbe nicht im stehenden, sondern im um-
laufenden Kapital. Während aber das stehende Kapital eine feste Größe darstellt, bei
der eine Herabminderung meistens nur auf Kosten der Leistungsfähigkeit der Gesamtanlage
durchgeführt werden kann, ist das Band des umlaufenden Kapitals so elastisch, daß es
ohne Schaden für den Betrieb verkürzt werden kann, sofern es dem Inhaber gelingt,
den Umschlag des Warenlagers zu vervielfachen. An der Bildung des National-
kapitals hat zwar der Handel stets großen Anteil gehabt, aber die Regel war, daß die
Werte, die er ansammelte, das eigene Heim verließen und in fremden Oienst traten. In-
dustrie, Bergwerk, Häuserbau, Schiffsbau usw. nahmen fast das ganze Nationalkapital
für sich in Anspruch.
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