Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
282 Binnenhandel. VI. Buch. 
  
In neuerer Zeit aber hat innerhalb der Gesamtentwickelung des Warenhandels 
sich eine Richtung durchgesetzt, die nach entgegengesetzter Seite führt. Es zeigt sich hier 
wiederum die alte Wahrheit, daß die Vielgestaltigkeit des Lebens sich nicht in ein Schema 
pressen läßt. Der Faktor des stehenden Kapitals, der bisher vorzugsweise auf indu- 
striellem Gebiete seine Erzeugungskraft betätigt hatte, wurde auch für den Handel nutz- 
barFr gemacht, es entstanden die Riesenbetriebe der Warenhäuser. Die Zusammen- 
fassung des Angebots aller möglichen Waren, wie sie in diesen Betrieben erfolgt, setzte 
die Herstellung großer Räumlichkeiten voraus, und das Bestreben, das Publikum dem 
jahrmarktsähnlichen Treiben geneigt zu machen, nötigte dazu, die Warenpaläste mit 
raffiniertem Glanz auszustatten. Da für die Beschaffung der festzulegenden Kapitalien 
die eigenen Mittel der Gründer oft nicht ausreichten, war das Hilfsmittel des Kredits in 
Anwendung zu bringen. Die Banken, die bis dahin ihre Hauptaufgabe gegenüber dem 
Handel in der Gewährung von Wechselkredit erblickt hatten, unterstützten die neue Be- 
wegung durch Gewährung langfristiger Darlehen. 
Aber die Warenhäuser bildeten nicht die einzige Klasse der Großdetailgeschäfte, die 
in der gesteigerten Verwendung stehenden Kapitals ein Mittel erblickten, die Kraft ihres 
Wettbewerbes zu stärken. Den gleichen Weg wandelten die großen Kaufhäuser, die 
sich als Spezialgeschäfte darstellen. Die Zahl der Spezialgeschäfte, die in Umfang und 
Pracht der Haus- und Ladeneinrichtung mit den Warenhäusern jeden Vergleich aushalten, 
ist Heute recht erheblich. Allerdings ist zu beachten, daß die Verschiedenheit des Charak- 
ters der Spezialgeschäfte und der Warenhäufer, die unverwischbar bleibt, auch für die 
Art der Kapitalsverwendung Verschiedenheiten erzeugt. Es sei dies an zwei Punkten 
gezeigt. 
Daß die Bedingung für die Rentabilität eines Warenhausbetriebes, der erstens 
mit großem Anlagekapital arbeitet und zweitens ein nahezu unbegrenztes Warensorti- 
ment führt, der Massenumsatz ist, bedarf keiner Bemerkung. Die Forcierung des Ab- 
satzes liegt im Wesen des Warenhauses; der Rücksicht auf sie müssen alle sonstigen Er- 
wägungen weichen, und selbst der Grundsatz der Arbeitsteilung, der die moderne Wirt- 
schaft beherrscht und deshalb im Warenhause bis zu einem gewissen Grade beachtet 
werden muß, beugt sich Einschränkungen. Hier liegt einer der Unterschiede zwischen den 
Warenhäusern und anderen Großbetrieben des Detailhandels. Auch bei letzteren sind 
die erwähnten Merkmale, große stehende Kapitalien und Massenabsatz, anzutreffen, indes 
haben alle Folgerungen, die aus dieser Verbreiterung des Betriebes zu ziehen sind, sich 
dem obersten Grundsatze unterzuordnen: der Spezialisierung. Ferner kommt folgendes 
in Betracht. Die gesteigerte Verwendung des Kapitals in Gestalt fester Anlagen betätigt 
sich auch darin, daß die großen Detailgeschäfte, mögen sie sich Spezialgeschäfte oder 
Warenhäuser nennen oder die Form der Konsumvereine wählen, oft über den NRahmen 
der reinen Handelstätigkeit hinausgehen und zur Eigenproduktion schreiten. In 
welchem Umfange aber eine solche Angliederung industrieller Tätigkeit erfolgt, wird 
durch Gesichtspunkte bestimmt, die bei Spezialgeschäften einerseits und Warenhäusern 
wie Konsumgenossenschaften andererseits verschieden sind. Während bei jenen der 
Grundsatz der Spezialisierung auch hier einschränkend wirkt, geht bei diesen die Grenze 
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