VI. Buch. Bankwesen. 2688
Siege der Aktienbanken endete. Die Kräfte des Privatbankiers reichten zur Befriedigung
des Kreditbedürfnisses tatsächlich nicht aus, wenn auch gewiß nicht zu bestreiten ist, daß
schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, namentlich in Mittel- und Süddeutsch-
land, es nicht ganz wenige hervorragende Privatbankiers gegeben hat.
Es wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Ende der achtziger Jahre einen
besonderen Abschnitt in der Entwicklung des Bankwesens eigentlich nicht darstellt, und
man kann für diese Zeit nur ein neues charakteristisches Moment hervorheben, näm-
lich das langsame Hervortreten der Reichshauptstadt Berlin als Zentrum des ge-
samten deutschen Bankwesens. Der große Aufschwung nach 1870 fand durch die schwere
Krisis von 1873 ein rasches und jähes Ende. Es kamen die Jahre eines wirtschaftlichen
Tiefstandes, bis, hauptsächlich infolge der neuen Bismarckschen Wirtschafts- und Finanz-
politik, eine Ara starken Aufstiegs einsetzte, die etwa bis zum Jahre 1883 dauerte; dann
solgte nach dem bekannten Gesetz der Kontrastbewegung, das ja auch gerade für das
Wirtschaftsleben seine Geltung heischt, eine Periobe der Depression, worauf etwa
1888 eine neue Aufschwungsepoche einsetzt. Sie wurde noch einmal zu Beginn der
neunziger ZJahre unterbrochen, setzte sich dann aber unausgesetzt fast 10 Zahre fort, um
zu Beginn des 20. Jahrhunderts zu einer scharfen, aber zum Elück nur kurzen Krisis
zu führen. Seitdem ist unser Bankwesen von schwereren Erschütterungen verschont
geblieben, denn das Jahr 1907, das allenfalls noch als ein kritisches bezeichnet werden
kann, war weniger durch Vorkommnisse im heimischen Wirtschaftsleben bedingt, als
durch finanzielle Erschütterungen in Amerika.
In diesem Zeitabschnitt haben sich die Aufgaben des deutschen Bankwesens ge-
nauer bestimmt, sie haben festumrissene Gestalt gewonnen. Man hat die Tätigkeit
der Banken des öfteren verglichen mit der des Herzens im menschlichen Körper;
die Banken sollen, wie das Herz den Kreislauf des Blutes, so den des Kapitals in
der Volkswirtschaft regeln. Die Analogie ist in der Tat vorhanden. Die Banken nehmen
aus allen Teilen des Volkskörpers das Kapital an sich in Form von Depositen und
sonstigen Guthaben, und haben die Aufgabe, die so gewonnenen Gelder im Wege der
Kreditgewährung richtig und zweckmäßig zu verteilen; die Banken sind also das Binde-
glied zwischen dem Kapitalbesitzer einerseits, der ihnen das Geld bringt, und dem
Unternehmer andererseits, der sene Gelder zur Förderung seiner Unternehmen bedarf.
Zwischen diesen beiden Polen, dem Geldgeber und dem Kreditnehmer, spielt sich das
gesamte laufende, das sogenannte reguläre Geschäft der Banken ab, und zu ihren wich-
tigsten Funktionen gehört es, daß auf dem ganzen Wege, den das Kapital zu durch-
laufen hat, es möglichst immer produktiv sei, d. h. eine angemessene Verzinsung ab-
werfen soll. Unaufhörlich strömt das Kapital den Banken zu als den großen Hochreser-
voiren aller mobilen Gelder, und ihnen liegt es ob, alle diese Mittel für die verschiedensten
Gebiete nutzbar zu machen. Es kann nicht fraglich sein, daß die Banken dieser ihrer
ersten und vornehmsten Aufgabe durchaus gerecht geworden sind; sie haben, das
zeigt ein Blick auf unsere gesamte Entwicklung, die Produktivität unserer Volkswirt-
schaft gerade durch die Art der Kapitalsverteilung ganz außerordentlich gesteigert.
Gewiß sind unsere Banken nicht nur Ursache dieser Entwicklung gewesen, sondern auch
7