288 Bankwesen. VI. Buch.
Gründungs- und Emissionsgeschäft und der Börsenspekulation halten sich die englischen
Banken grundsätzlich fern. Hier treten die Merchants, die Auslands- und Kolonialbanken
ein. Dieses ganze Finanzierungs- und Gründungsgeschäft wird in England viel weniger
mit fremden Mitteln betrieben; die Merchants arbeiten nicht oder doch höchst selten mit
Depositen und zeichnen sich in der Regel durch außerordentliche eigene Kapitalkraft aus.
Hierbei mag betont werden, daß die im Laufe der letzten 10 Jahre in England errichteten
Filialen unserer großen deutschen Banken sich mehr mit der Tätigkeit der Merchants be-
fassen, als mit der der Depositenbanken. — Aun darf man aber keineswegs glauben, daß
mit dieser Spezialisierung im englischen Bankwesen der Gipfel der Vollkommenheit er-
reicht ist; gerade, weil die großen Banken keinerlei Fnteressen an den emittierten Werten
haben, weil keinerlei organische Verbindung, wie bei uns, zwischen Bankwelt und Industrie
besteht, konnte es möglich werden, daß das englische Kapitalistenpublikum mit einer wah-
ren Hochflut zweifelhafter oder geradezu fauler Gründungen überschwemmt worden ist.
Auf der anderen Seite sind unter den von den Stockbrokers hinterlegten Effekten gerade
in den letzten Jahren riesige Beträge von Goldminen und amerikanischen Eisenbahnshares
gewesen, die in kritischen Zeiten gar nicht oder doch nur mit großen Verlusten zu ver-
werten waren, so daß die Zoint-Stock-Banken häufig genug an die Hilfe der Bank von
England appellieren mußten. So ist es denn auch nicht wunderbar, daß in allen größeren
Wirtschaftskrisen, die im Laufe der Zeit in England hereingebrochen sind, eine sehr
große Zahl von Depositenbanken in Konkurs gingen; und man hat auch in England selbst
sich diesen Ubelständen nicht verschlossen und Schritte unternommen, um der Schwäche
des englischen Banksystems abzuhelfen. Alles das sollten diejenigen bedenken, die ohne
genauere Kenntnis der Verhältnisse nicht müde werden, die Vorzüge des englischen Sp-
stems zu rühmen.
Das englische Bankwesen wird von dem Spstem der Zentral-Notenbank nicht un-
wesentlich bestimmt, wie man freilich auch andererseits sagen kann, daß die Politik der
Bank von England durch die eigenartige Entwicklung, die das englische Wirtschafts-
und Bankleben genommen hat, determiniert wird. Die Bank von England steht be-
kanntlich noch scharf auf dem Standpunkt des Currency-Prinzips und läßt jederzeit
eine Verminderung in ihrem Notenumlauf eintreten, sobald ihr Metallvorrat sich ver-
ringert. Dieses Prinzip beruht auf der Furcht vor Preissteigerungen im Falle eines
UÜberflusses an Zahlungsmitteln, und ist in der Theorie längst als unzutreffend bekannt;
aber in der Prazis herrscht für die Bank von England immer noch die Peelsakte von
1844 und sie verlangt, daß alle Noten, die über den Betrag von 380 Millionen M. aus-
gegeben werden, durch Metall gedeckt sein müssen. Als Ersatz für die fehlenden Bank-
noten ist das Scheck- und Abrechnungswesen (Clearing) und das Giro vorzüglich aus-
gebildet. Und das ist wiederum nur möglich geworden durch das bereits erwähnte,
bis in die lleinsten Flecken des Landes entwickelte und ausgebaute Filialsystem, das
bei der größten Mehrzahl aller Geschäfte beide Kontrahenten als Inhaber von Bank-
konten erscheinen läßt.
Ganz anders liegen die Verhältnisse in Frankreich, wo zunächst das Zentralinstitut
das sog. Banking-Prinzip amsstrengsten vertritt; die Banque de France kommt dem
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