Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Bankwesen. « " M- 
Bedürfnis nach vermehrten Zahlungemitteln durch Vermehrung des Notenumlaufs 
nach, sobald der Metallvorrat stärker in Anspruch genommen wird. Frankreich sieht 
also die unbedeckte Banknote nicht als einen Ubelstand an, was historisch zu erklären 
ist, weil die Bank von Frankreich seit ihrer Gründung durch Napoleon I. das Noten- 
monopol besaß, staatlich stets streng kontrolliert und deshalb vor den Gefahren einer 
zügellosen Notenausgabe weit mehr geschützt war. Eine gesetzliche Vorschrift für die 
Höhe der Notendeckung bestand in Frankreich überhaupt nicht; von Zeit zu Zeit wird 
nur der Höchstbetrag der ausgebbaren Noten firiert. Die Zirkulation des Notenumlaufs 
wechselt in Frankreich stark, viel stärker als in England, weil in Frankreich die höheren 
Stufen der Zahlungsvermittlung, Scheck, Abrechnung, Giro nicht annähernd so entwickelt 
sind als in England, und weil infolgedessen im Falle des stark gesteigerten Wirtschafts- 
verkehrs die Noten neben dem Bargeld das alleinige Zahlungsmittel bilden. Auch 
sonst ist das Banksystem in Frankreich von dem englischen ziemlich wesentlich verschieden; 
die Arbeitsteilung ist dort nicht annähernd so fortgeschritten wie in England. Im 
Grunde ist nur der Crédit Lyonnais ausschließlich Zoint-Stock-Bank geblieben, 
während sich die anderen großen Institute von der Industrie und überhaupt von 
dem Finanz- und Emissionsgeschäft nicht vollständig fernhalten. Ferner gibt es in Frank- 
reich auch reine Effektenbanken, sogenannte Banques caffaires, die fast gar nicht mit 
Depositen arbeiten, sondern mit eigenem Geld und in ihrer Geschäftstätigkeit mehr 
den englischen Merchants und Auslandsbanken ähneln. Besonders fällt aber auch auf, 
daß die großen Pariser Banken, ebenso wie die Bank von Frankreich, in viel stärkerem 
Maße dem mittleren und kleineren Geschäft Kredit geben. Im Jahre 1906 be- 
trug der Durchschnitt des diskontierten Wechsels bei der Deutschen Bank 5363 M., da- 
gegen beim Crédit Lponnais etwa 625 M.; bei der Reichsbank 2066 M., bei der Banque 
de France 550 M. — « 
Das deutsche System hält in vielen Oingen die Mitte 
Das-deutsche Bankipstem, zwischen englischem und französtschem ein und hat sich 
in einzelnen Sparten ganz individuell entwickelt. Charakteristisch ist vor allem in Deutsch- 
land, daß sich die großen Institute an fast allen Arten des Bankgeschäfts beteiligen; 
sie sind zugleich Depositen-, Effekten- und Emissionsbanken haben Filialen 
und Zweigniederlassungen im In- und Auslande und dienen ebenso dem inneren 
Verkehr wie sie das Import- und Ezxportgeschäft vermitteln. Eine ganz besondere 
Eigentümlichkeit des deutschen Bankwesens im Vergleich zum englischen ist die enge 
Fühlung unserer Großbanken zur heimischen Industrie. Das gibt auch der Stellung 
der deutschen Banken zur Reichsbank die Richtung. · » 
Und so ergeben sich wichtige Unterschiede. Bei der Vielseitigkeit der deutschen Banken 
ist vor allem die Pflege des Wechselkredits naturgemäß doch noch immer nicht so intensio wie 
in England. Die Folge ist, daß in England die Kreditvermittlung durch die Zentralbank 
immer entbehrlicher und geringer wird, während bei uns die Reichsbank als Kredit- 
geberin erster Instanz noch eine außerordentlich erhebliche Rolle spielt. Bei uns sind 
ferner, wie wir sahen, die großen Banken nicht reine Depositenbanken; ihre Leiter be- 
  
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