Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
290 Bankwesen. VI. Buch. 
  
halten deswegen eine größere Ubersicht, aber auch eine große Verantwortlichkeit und 
Einfluß auf die gesamten Wirtschaftsverhältnisse. Des weiteren beruht unser Bank- 
spstem immer noch viel stärker auf Barzahlung und Noten; der ganze Geschäftsverkehr 
ist weit mehr von diesem ursprünglicheren Zahlungssystem durchtränkt, und bei uns 
kann man deswegen die Goldreserve der Reichsbank nicht, wie in England, als die aus- 
schließliche und letzte Reserve für alle Geschäfte betrachten wie dort. Auf der anderen 
Seite treten in den Beziehungen der Banken zur Reichsbank bei uns gewisse Nachteile 
stark und immer stärker hervor. Die Vielseitigkeit des Geschäfts bei uns, namentlich 
das starkentwickelte Effektengeschäft, nötigt zu Ultimozahlungen, und da außerdem 
sich bei unserem Kreditsystem sehr viele Zahlungen an bestimmten Terminen zusammen- 
drängen, so pflegen unsere Großbanken durch entsprechende Erleichterung ihres Wechsel- 
portefeuilles sich im Wege der Rediskontierung bei der Reichsbank Gell zu verschaffen. 
Gerade dadurch werden am Schlusse des Monats und noch mehr des Quartals die 
großen Notenausgabe-Vermehrungen begreiflich. Es ist auch nicht zu verkennen, daß 
die deutschen Großbanken, um die ihnen so stark zuströmenden fremden Gelder nutz- 
bringend in kurzfristigen Anlagen zu verwerten, sich in den letzten Zahrzehnten steigend 
dem Wechseldiskontgeschäft zuwenden; die Zustände nähern sich in dieser Hinsicht all- 
mählich mehr den englischen; die Macht des Zentralinstituts auf dem Diskontmarkt ist 
keine ausschließliche mehr. 
In allen drei Ländern hat sich die Macht der Privatbanken gegenüber den Zentral- 
banken entwickelt, weil das beschäftigungslose Kapital mit dem steigenden Volkswohl-- 
stand infolge der verbesserten Zahlungsmethode sich in immer riesigeren Summen den 
Privatbanken zuwendet. Nur diese können eine, wenn auch oft nur geringe Verzinsung 
in Aussicht stellen, während den Zentralinstituten eine lukrative Verwendungemöglichkeit 
nicht in dem Maße zusteht. Am stärksten ist die Privatbankmacht in England entwickelt, 
neben der die umlaufenden Noten und Bankdepositen der Bank von England eine nur 
bescheidene Kolle spielen. Zn Deutschland und Frankreich hat diese Macht die gleiche 
Höhe noch nicht erreicht. In Frankreich ist bei der geringeren Entwicklung von Handel 
und Industrie die gewinnbringende Verwendungsmöglichkeit der Depositengelder nicht 
leicht gegeben, und diese Depositen verwandeln sich daher in der KRegel bald zu in- oder 
ausländischen Rentenwerten und entziehen sich damit der Verwendungsgewalt durch 
die Banken. In Deutschland ist der Geldmacht der Privatbanken eine starke Konkurrenz 
entstanden durch die Sparkassen und Kreditgenossenschaften, deren Spargelder 
in Höhe von ca. 17 Milliarden die etwa 9—10 Milliarden betragenden fremden Gelder der 
Banken noch um ein Drittel übersteigen. Die Stellung der Privatbanken zum Zentral- 
noteninstitut zeigt sich besonders in der Art, wie das Zentralinstitut bei dem Diskont- 
geschäft arbeitet. In England und auch in Frankreich ist das Zentralinstitut als erst- 
instanzlicher Kreditvermittler so gut wie ausgeschaltet, was in England an den ungeheuren 
Mitteln der Joint-Stock-Banks und an der riesigen Zahl ihrer Filialen liegt. Zwei, drei 
große Pariser Banken haben ebenfalls eine ungeheure Zahl von Filialen, auch an den 
kleinsten Orten, und da die Banque de France an der dritten Unterschrift noch immer 
strikte festhält, so wird die Geschäftswelt ohnehin von selbst in der Mehrzahl der Fälle 
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