Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
296 Bankwesen. VI. Buch. 
  
So wurde gewissermaßen die Depositenkasse der Pionier für ein richtig ausgebildetes 
verfeinertes Bankwesen, und es entwickelte sich eine Kette wechselseitiger Beziehungen 
zwischen Publikum und Bank. Selbstverständlich hatten die, namentlich von den Ge- 
schäftsleuten bei der Bank vorübergehend untergebrachten Gelder nicht die Bedeutung 
von wirklichen Depositen im engeren Sinn. Unter den letzteren pflegt man im all- 
gemeinen Gelder zu verstehen, die bei den Banken zu zinsbarer Benutzung binterlegt 
werden; das eigentliche Deposit ähnelt sehr den Sparkassenguthaben. Aber auch jene 
von Geschäftsleuten nur vorübergehend getätigte Hingabe von Geld zog das Kapital 
in die Kassen der Banken. Es entwickelte sich unter den Banken ein außerordentlich 
scharfer Wettbewerb um die Heranziehung fremder Gelder, und es entstand durch 
dieses Zusammenströmen der Kapitalien die Notwendigkeit, auf immer neue Anlage- 
möglichkeiten bedacht zu sein. Daher kann es nicht Wunder nehmen, daß das unge- 
heure Anwachsen der fremden Gelder in den Banken Gegenstand dauernder und schar- 
fer Kritik gewesen ist. Abgesehen davon, daß, wie oben bereits betont, durch diese große 
Kapitalmacht der Banken dem Zentralinstitut eine starke Konkurrenz geschaffen wird, 
entsteht ja auch die Frage, ob alle diese Summen volkswirtschaftlich richtig ver- 
wendet werden, und ferner die ebenso berechtigte nach einer tunlichsten Sicherung 
der Depositen. Die Konzentration im Bankgewerbe bringt es eben mit sich, daß die 
Verfügung über Milliarden bei wenigen Instituten liegt. Man kann sich nicht darüber 
täuschen, daß an sich die Großbanken es in ihrer Macht hätten, durch Zuteilung und 
Verweigerung von Kredit einzelne Teile der Volkswirtschaft zu fördern oder zu schädigen; 
man könnte sich denken, daß einzelne Industriezweige und einzelne Großunternehmungen 
besonders reichlich mit Kapital versorgt werden, während andere darben; man könnte 
befürchten, daß die den Großbanken übergebenen Betriebskapitalien festgelegt und daß 
dadurch die Liquidität beeinträchtigt wird. Za, man kann sich denken, daß gerade der 
ungeheure Zustrom von Mitteln die Banken veranlassen möchte, ihre Kreditgewährung 
zu überspannen. Alle diese Bedenken sind wiederholt erhoben worden. Wer unser Bank- 
spstem aus eigener Erfahrung und Beobachtung kennt, der weiß freilich, daß das 
Verantwortlichkeitsgefühl der Leiter außerordentlich stark entwickelt ist, und daß 
vor allem mit größter Aufmerksamkeit darauf geachtet wird, gegen die Summe der 
fremden Gelder einen Aktiobestand an leicht greifbaren Mitteln und liquiden Posi= 
tionen zu halten. 
Liquidität. Wir kommen hier auf einen Punkt, der gerade in den letzten Jahren 
———— im Vordergrund der Betrachtung gestanden hat, auf die sogenannte 
Liquidität, d. h. einfach ausgedrückt, auf die Fähigkeit der Banken, ihren Ver- 
pflichtungen nach menschlichem Ermessen gerecht zu werden. Freilich so viel bares 
Geld gibt es einfach nicht, daß eine einzelne Bank oder alle Banken zusammen 
jederzeit ihre Verbindlichkeiten mit barem Gelde aus eigener Kraft einlösen könnten. 
Aber das Verlangen ist berechtigt, daß die den Banken zur Verfügung gestellten 
Gelder möglichst in den Dienst des soliden und reellen Geschäftslebens gestellt 
werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, daß unsere Industrie mehr mit fremden 
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