Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
306 Bankwesen. VI. Buch. 
  
plötzliches Abschneiden oder Kündigen eines gewährten Kredits nicht nur ein einzelnes 
kommerzielles oder industrielles Institut in geradezu verhängnisvolle Lage bringen, 
sondern sie würden auch durch eine zu rigorose Anwendung ihrer Kreditgrundsätze unser 
ganzes Wirtschaftsleben krisenhaft erschüttern. Ob es möglich ist, den langfristigen in- 
dustriellen Kredit, der ja nach seiner Natur besondere Schwierigkeiten bietet, anders zu 
gestalten, ob insbesondere die Hechtsche Zdee „Schaffung eines Zentralinstituts für den 
langfristigen gewerblichen Kredit“ in einer oder anderen Form durchführbar ist, das zu 
prüfen würde hier zu weit führen. 
Mit Rũcksicht auf den uns gewiesenen Raum darf 
hier auf andere Gebiete des regulären Bank- 
geschäfts nicht eingegangen werden; insbesondere kann das so wichtige und charakte- 
ristische Akzeptgeschäft nicht behandelt werden; wir müssen mit einer kurzen Beleuch- 
tung des großen Finanzgeschäfts schließen. Die Entwicklung des deutschen Wirt- 
schaftslebens hatte, wie wir sahen, unseren Banken von Anfang an eine gewisse Uni- 
versalität in der Geschäftsgebahrung verliehen. Deutschland war nicht reich genug, 
um selbständige Depositenbanken zu ernähren, und schon seit der Mitte des vorigen 
Fahrhunderts wandte sich die deutsche Bankwelt bewußt den großen Finanz-Emissions- 
und Konsortialgeschäften zu. Die Periode nach dem großen Kriege von 1870 brachte 
das Gründungefieber und mit ihm eine Unzahl von innerlich faulen Gründungen. Der 
Mangel jeder Publizität bei dem Gründungshergang und das Fehlen einer Verant- 
wortlichkeit für die in der Regel anonym bleibenden Gründer führte, neben anderen 
Ursachen, zu dem Krach von 1875. Die Gesetzgebung schritt ein, und es wurden durch 
eine Reihe von Vorschriften ganz neue Grundlagen für die Errichtung von Alktien- 
gesellschaften und für die Umwandlung schon bestehender Institute in Aktiengesellschaften 
erlassen. Bon Anfang an haben die deutschen Banken hierbei eine führende Rolle 
gespielt, und im großen und ganzen kann man ihre Tätigkeit auch hier nur als nützlich 
und für das gesamte Wirtschaftsleben förderlich bezeichnen. Durch die Neugründung 
von Aktiengesellschaften wurde erst die Möglichkeit geschaffen, die Produktion durch 
Errichtung sehr großer Betriebe ganz enorm zu steigern; bei der Umwandlung bestehender 
Geschäfte in Aktienform wurde in der Regel derselbe Zweck erreicht, und diese juristisch— 
ökonomischen Vorgänge haben zu der außerordentlichen Intensivierung unseres ganzen 
Wirtschaftslebens in hohem Maße beigetragen. Die Banken haben es auch immer 
als ihre Pflicht betrachtet, sich um die industriellen und kommerziellen Gesellschaften, 
die sie gründeten, umwandelten, und deren Aktien sie emittierten, eingehend und dauernd 
zu kümmern, und sie haben auch in schweren Zeiten, so lange es irgend ging, ihre starke 
Hand über diesen Gesellschaften gehalten und sich für deren Gedeihen gleichsam ver- 
antwortlich gefühlt. Unter den mancherlei BVorwürfen, die man gegen die deutsche Bank- 
welt und das deutsche Bankspstem erhebt, ist als besonders unbegründet wohl zu be- 
zeichnen, daß die Banken sich durch das Finanzierungs- und Emissionsgeschäft mühelos 
Gewinn verschafft haben. Wer das ausspricht, mag ein bedeutender Gelehrter sein, 
von der Prazis des Banklebens versteht er nicht allzuviel. Keine Arbeit ist vielleicht 
Das Finanzierungsgeschäft. 
  
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