VI. Buch. Versicherungswesen. 313
sicherungseinrichtungen innerhalb des Deutschen Reiches gedacht, also an die
Sozialversicherung wie an die Privatversicherung. Oie erstere, die nur sehr wenige Zahre
vor dem Regierungsantritt Kaiser Wilhelm II. durch die Energie Bismarcks als etwas voll-
ständig Neues geschaffen wurde, stellt eine der gewaltigsten Zwangsorganisationen
dar, welche die Welt kennt. Jeder zweite bis dritte Deutsche gehört heute der sozialen
Kranken-, Unfall-, Alters-, Invaliden-, Hinterbliebenen- oder Angestellten-Versicherung
an. Diese Sozialversicherung, durch welche das Deutsche Reich gewissermaßen zur größten
Versicherungsanstalt der Welt wurde, wird von immer mehr Staaten zum Vorbild
genommen. HDie sostematische Massenversorgung auf dem Wege zwangsweiser Bersiche-
rung hat von Oeutschland aus ihren Siegeszug durch alle Kulturstaaten angetreten.
Eine Schilderung Deutschlands unter Kaiser Wilhelm II., welche die Bedeutung der
deutschen Sozialversicherung nicht stark unterstreichen würde, wäre wertlos. Aber über
die Sozialversicherung wird in einem andern Kapitel dieses Werkes besonders gesprochen.
Hier besteht nur die Aufgabe, das Versicherungsgewerbe, die Privatversicherung, die
deutsche Versicherung ohne sozialpolitischen Charakter, zu würdigen und darzustellen.
Ganz verfehlt wäre es, würde man etwa vermuten, jene
Zwangsversicherung habe die freiwillige Privatversiche--
rung ausgeschaltet oder auch nur verringert. Das Gegen-
teil ist der Fall. Durch ein Machtwort des Gesetzgebers sind Millionen Deutsche in eine
oder mehrere Versicherungsorganisationen gebracht worden, die vorher von einer Asse-
kuranz überhaupt nichts wußten oder diese nur als eine Luxuseinrichtung für Begüterte
betrachteten. Mit einem Schlage ist das Bersicherungsbedürfnis weitester Volkeschichten
geweckt worden, und einmal in Erscheinung gerufen, ist dieses Bedürfnis mehr und mehr
gewachsen und hat sich auf immer neue Bevölkerungeschichten erstreckt. Das Minimum
der finanziellen oder sonstigen Fürsorge, welches die Sozialversicherung gewährt, wollten
und konnten aber viele Tausende der Versicherten dem Mazximum des Versicherungs-
schutzes näherbringen; und dies zu tun, wurde sie durch die rührige Tätigkeit der Pri-
vatversicherer in mannigfachster Weise immer von neuem angestachelt. Auch half die zu-
nehmende wirtschaftliche Erziehung, die wachsende Einsicht, Vorsicht und Voraussicht, die sich
bäufig früher nur durch die Benutzung von Spareinrichtungen geltend gemacht hatte, immer
mehr dazu, sich an Versicherungseinrichtungen zu beteiligen. Gar manchef freilich, der ehe-
dem schon solches Vorhaben bekunden wollte, hatte nicht die für die freiwillige Versicherung
unerläßlichen Mittel zur Prämienzahlung. Erst der allgemeine wirtschaftliche Aufschwung,
die Zunahme des Durchschnittseinkommens der Bevölkerung, die nicht geringe Erhöhung
der Löhne gab vielen die Möglichkeit, jenes Vorhaben in die Wirklichkeit umzusetzen.
Sozialversicherung und
Privatversicherung.
Statistische Nachweisungen. Aur wenige Ziffern seien ausgeführt, welche
zeigen, wie die Versicherung vor Antritt der
Regierung Kaiser Wilhelms in Deutschland stand und wie sie sich bis zum Jahre
vor seinem Jubiläum entwickelt hat.
(Vgl. hierher die Tabellen auf den beiden folgenden Seiten.)
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