324 Versicherungswesen. VI. Buch.
Neben dieser Reichsgesetzgebung ist auch eine große Reform
auf dem Wege der Landesgesetzgebung eingetreten,
vornehmlich für die öffentliche Feuerversicherung. Hier ist Preußen vorausgegangen mit
einem Mustergesetz, das die zum großen Teil veralteten Bestimmungen vieler Sozietäten
modernisiert, und es unternommen hat, die Rechtsverhältnisse der bei ihnen Versicherten
denen gleichzustellen, welche die bei Privatanstalten Versicherten genießen. Gewisse
Vorrechte der öffentlichen Anstalten wurden aufrechterhalten und dementsprechend auch
die ihnen auferlegten besonderen Verpflichtungen; dazu trat neu eine Verpflichtung
mit finanzpolitischem Beigeschmack: die Sozietäten müssen einen Teil ihrer Kapitalien,
25 Prozent, in heimischen Staatspapieren anlegen, eine Vorschrift, die aus der neuen
Reichsversicherungsordnung herübergenommen worden ist, und die man auch für die
Privatanstalten einführen möchte.
Die hohen Kapitalien, welche sich in der Privatversicherung befinden, sind selbst-
redend von großer Bedeutung für den allgemeinen Kapitalmarkt. Es ist von
erheblicher Bedeutung, ob jene Milliarden der Versicherer in 9Hppotheken oder Staats-
papieren Anlage finden, und naturgemäß hat auch der Fiskus, der Steuergesetzgeber, eine
gewisse Vorliebe für jene leicht zu fassenden Kapitalien innerhalb der Versicherung. So
erklärt sich die eben angedeutete Bestrebung, alle Versicherer zu Zwangsanlagen in Staats-
papieren zu veranlassen. Die Regierung erhofft hierdurch eine Steigerung des Kurses
der Anleihen erzielen zu können; denn der Kreis der Abnehmer der Staatspapiere
würde sich gewaltig erweitern. Diesem erhofften Vorteil gegenüber stehen aber sehr ge-
wichtige Nachteile für die Sicherheit und Stetigkeit des Betriebes, namentlich der Lebens-
versicherung, und andere Nachteile, welche jene Vorteile wohl nicht aufwiegen dürften.
Neues Landesrecht.
Bei der Bedeutung der Versicherung für die gesamte
deutsche Volkswirtschaft ist es nur logisch, wenn ihrer
bei der großen Wehr- und Oeckungsvorlage vom Jahre 1912 gedacht worden ist, und
wenn man die ihr dienenden Unternehmungen sowohl bei der Zahl derer, die dem Vater-
land ein materielles Opfer bringen sollen, als auch in der Reihe derjenigen, welchen
man ein Jubiläumsgeschenk anbot, nicht vergessen hat. Denn ein Doppeltes hat das er-
wähnte Gesetz der deutschen Privatversicherung gebracht: auf der einen Seite Belastungen,
auf der anderen Seite erfreuliche Bereinfachungen in der Besteuerung.
Ein großer Fortschritt ist es, daß auf die umständliche lästige Besteuerung durch die
Einzelstaaten wenigstens bezüglich der Stempelsteuer nun verzichtet und in diesen immer-
hin freilich bescheidenen Grenzen eine längst begehrte und längst versprochene Verein-
heitlichung der Versicherungssteuer durchgeführt worden ist.
In den Kreisen der Privatversicherer hat man gelegentlich schon diese Berücksichtigung
dankbar empfunden, weil man durch öffentliche Anerkennung hier nur wenig verwöhnt
ist. In dieser Beziehung hat sich in dem letzten Vierteljahrhundert wenig gegenüber
früher geändert; man genießt die Segnungen der Versicherung nach wie vor als etwas
ganz Selbstverständliches und hält es noch immer geradezu für überflüssig, ihren Leistungen
Lob zu zollen, den Männern, die sich in ihren praktischen Dienst gestellt haben, auch nur
Reformder Besteuerung.
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