328 Handwerk. VI. Buch.
der Gewerbefreiheit stand, indessen dem zünftigen Teil der Handwerker entgegenkam.
Jedoch nahmen die Klagen über den Niedergang des Handwerks zu, und in den Hand-
werkerkreisen wurde ausschließlich die Gewerbefreiheit dafür verantwortlich gemacht.
Aufdem deutschen Handwerker- und Gewerbekongreß zu Frankfurt a. M. (1848),
das Handwerkerparlament genannt, kam der Entwurf einer allgemeinen Hand-
werks- und Gewerbeordnung zustande, der der dortigen Nationalversammlung als feier-
licher Protest des Handwerkerstandes gegen die Gewerbefreiheit vorgelegt wurde. Die
Nationalversammlung kam in dieser Sache zu keinem Ergebnis, dafür befaßten sich
die einzelnen deutschen Staaten wiederum mit der Handwerkerfrage und gingen mit
einengenden Bestimmungen zugunsten des Zunftwesens vor. In Preußen geschah das
durch die Gewerbenovelle von 1849, die den Wünschen des nach Staatshilfe verlangen-
den Handwerks weit entgegenkam; bei den meisten Handwerken wurde zur Ausübung
des Gewerbes der Eintritt in eine Innung oder die Ablegung einer Prüfung gefordert,
für Lehrlinge und Gesellen ein zunftmäßiger Lehrgang eingeführt. Die davon erwartete
segensreiche Wirkung trat nicht ein; man hatte eben nur die Kleingewerbe unter sich
beschränkt, ohne die tiefer liegenden allgemeinen Ursachen des Niedergangs zu berück-
sichtigen. Bald waren die Anhänger der unbeschränkten Gewerbefreiheit rührig an der
Arbeit, diese gesetzlichen Vorschriften wieder beseitigt zu sehen. Auch in den maßgeben-
den Regierungskreisen kam man zu der Uberzeugung, daß nicht in erster Linie der Ge-
werbefreiheit die Schuld an der mißlichen Lage des Handwerks beizumessen sei. So
gingen die deutschen Staaten in den 60er Jahren einer nach dem anderen zur Einführung
der Gewerbefreiheit über, und Preußen schloß sich an mit der am 21. Juli 1869 erlassenen
Gewerbeordnung, die 1871 auf das ganze Deutsche Reich ausgedehnt wurde und die
Gewerbefreiheit im weitesten Maße verwirklichte.
Damit zerfiel das Innungswesen immer mehr, denn die Innungen verloren den
öffentlich-rechtlichen Tharakter und somit alle besonderen Rechte; sie bestanden nur noch
auf fakultativer Grundlage. Aber schon in den nächsten Jahren entwickelte sich wieder
eine kräftige Bewegung gegen die Gewerbefreiheit. 1873 bildete sich der Verein selb-
ständiger Handwerker und Fabrikanten, der die Handwerkerinteressen vertreten
und Beschränkungen der Gewerbefreiheit durchführen wollte, 1874 brachten die Ab-
geordneten Ackermann und Genossen im Reichstage eine Interpellation ein, die eine
Gesetzesvorlage über Abänderung der Gewerbeordnung auf Grund der Erfahrungen
der letzten Jahre wünschte; auch der Verein für Sozialpolitik befaßte sich wieder--
holt mit Reformvorschlägen. Die Novelle von 1878, die sich besonders des Lehrlings-
wesens annahm, kam diesen Wünschen nur gering entgegen. Die Novelle vom 18. Juli
1881 entsprach jedoch den Wünschen der Handwerker in höherem Maße. Ourch sie wur-
den die Innungen wieder zu öffentlich-rechtlichen Korporationen mit dem Recht einer
juristischen Person erhoben, besonders um die ODurchführung der Vorschriften von 1878
über das Lehrlingswesen in die Hand zu nehmen; sie erhielten die Erlaubnis zur Bil-
dung von Schiedsgerichten, und es wurden Innungsausschüsse und IOnnungeverbände
eingeführt, um auch solche Aufgaben zu erfüllen, denen eine einzelne Innung nicht
gewachsen war. Weitere Novellen — von 1884 und von 1887 — dehnten die Befug-
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