Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Handwerk. 3209 
  
nisse der Innungen über den Kreis ihrer Mitglieder hinaus und dienten so zu ihrer 
Stärkung. 
Inzwischen hatte die Handwerkerbewegung wei- 
tere Kreise gezogen. Auf dem allgemeinen 
deutschen Handwerkertag in Magdeburg (1882) traten die Anhänger der neuen zünft- 
lerischen Nichtung mit entschiedenen Resolutionen hervor. Der Mittelpunkt dieser 
Bewegung wurden zwei Organisationen: der „Allgemeine Deutsche Handwerker- 
bund“ und der „Zentralausschuß der vereinigten Innungsverbände Deutsch- 
lands“, die seitdem großen Einfluß auf die deutsche Handwerkerpolitik ausgeübt haben; 
ihnen gegenüber steht der 1891 gegründete „Verband deutscher Gewerbevereine“, 
der einen freieren Standpunkt einnimmt. Auf Anregung der beiden ersteren Organi- 
sationen empfing unser Kaiser Wilhelm ll. 1890 eine Handwerkerdeputation. Im An- 
schlusse daran tagte vom 15.—17. Juli in Berlin die Handwerkerkonferenzz ein- 
berufen vom preußischen Minister für Handel und Gewerbe, nahmen daran Vertreter 
des organisierten Handwerks, Beauftragte des Reichsamts des Innern und des preu- 
ßischen Ministeriums für Handel und Gewerbe teil. Die Vertreter des Handwerks ver- 
traten ihre Forderungen: obligatorische Znnungen, Befähigungsnachweis als Voraus- 
setzung zum selbständigen Betriebe eines Handwerks und Einrichtung von Handwerks- 
kammern als Vertretung und Aufsichtsbehörde über die Innungen. Ein amtlicher Be- 
richt über die Konferenz erschien nicht, weshalb Abgeordneter Hitze und Genossen im 
Reichstage die Regierung über den Erfolg interpellierten. Die Regierung erklärte durch 
Staatssekretär von Bötticher die Einführung der obligatorischen Innung und des Be- 
fähigungsnachweises für „nahezu unmöglich“, sie erwäge aber, zur wirksamen Ver- 
tretung der Interessen der Handwerker das gesamte Handwerk in Handwerks- oder 
Gewerbekammern zu organisieren. Die Handwerkerverbände setzten jedoch ihre zunft- 
freundliche Agitation zielbewußt fort und beeinflußten andauernd die öffentliche Mei- 
nung und die Volksvertretung; besonders der deutsche Innungs- und Handwerkertag 
in Berlin (1892) trat energisch für die Forderungen des Handwerks ein. Nachdem 1892 
in Berlin eine Konferenz von Sachverständigen die Vorschläge des Reichsamts des 
Innern und des preußischen Ministeriums für Handel und Gewerbe (Handelsminister 
von Berlepsch) beraten hatte, erschienen am 18. August 1895 die Berlepschen Vor- 
schläge für die Organisation des Handwerks und für die Regelung des Lehrlings- 
wesens. Sie stellten eine Privatarbeit des Ministers dar und sollten der öffentlichen 
Kritik unterliegen. Sie zielten darauf hin, Handwerkerfachgenossenschaften mit all- 
gemeinem Beitrittszwang ins Leben zu rufen, die also alle Gewerbetreibenden umfaßten; 
ferner sahen sie vor: obligatorische Handwerkskammern, obligatorische Gehilfenaus- 
schüsse sowohl bei den Handwerkskammern als bei den Fachgenossenschaften, durchgrei- 
fende Regelung der Lehrlingsausbildung und Schutz des Meistertitels. Dieser Entwurf 
wurde besonders seitens der Handwerkerverbände einer scharfen Kritik unterzogen und 
eine Reihe von Gegenvorschlägen gemacht; auch der Verband deutscher Gewerbevereine 
nahm dazu Stellung und lehnte besonders die Zwangsfachgenossenschaften ab. 
Neuere Handwerkerverbände. 
  
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