VI. Buch. Handwerk. 347
glieder mittels gemeinschaftlichen Geschäftsbetriebes bezwecken (Genossenschaften). Im
Gesetz sind 7 Genossenschaftsarten genannt, und zwar Vorschuß- und Kreditvereine, Roh-
stoffvereine, Absatzgenossenschaften oder Magazinvereine, Produktivgenossenschaften, Kon-
sumvereine, Werkgenossenschaften und Baugenossenschaften; damit ist aber die Fülle der
genossenschaftlichen Möglichkeiten keineswegs erschöpft. Die Grundidee der Genossen-
schaft liegt in der gemeinschaftlichen Haftung für die Schulden der Genossenschaft. Das Ge-
setz läßt dafür drei verschiedene Formen zu: eingetragene Genossenschaft mit unbeschränkter
Haftpflicht, mit unbeschränkter Nachschußpflicht und mit beschränkter Haftpflicht; nur
bei den beiden ersten Haftformen haftet der Genosse mit seinem ganzen Vermögen,
während bei der dritten Form die Haftsumme durch das Statut festgesetzt ist. Für jede
Genossenschaft ist ein Vorstand und ein Aufsichtsrat aus den Genossen zu bestellen, das
oberste Willenswerkzeug ist die Generalversammlung. Die Mehrzahl der deutschen Er-
werbs- und Wirtschaftsgenossenschaften ist zu großen Verbänden zusammengetreten.
Mit welchem Erfolge sich das Handwerk die Vorteile des Genossenschaftswesens zu-
nutze gemacht hat, werden wir noch näher sehen. —
So ist die Gesetzgebung unter der Regierung Kaiser Wilhelms II. unermüdlich und
in vielseitigster Weise durch eine ausgesprochen handwerkerfreundliche Politik tätig ge-
wesen zur Erhaltung und Gesundung des Handwerksstandes.
Wie ist es nun heute um das Handwerk bestellt? Wohl
die Mehrzahl der Handwerker sucht den entscheidenden
Grund für die Notlage einer Reihe von Handwerkszweigen ausschließlich in dem Ein-
flusse der Gewerbefreiheit. Wenn das richtig wäre, so müßte die Einführung der Ge-
werbefreiheit im Zahre 1810 in Preußen sich für das Handwerk bald fühlbar ge-
macht haben; aber tatsächlich ist bis in die 30er Jahre der Stand des Handwerks
in Preußen ziemlich unverändert geblieben. Die tiefer liegenden Ursachen des Nieder-
gangs im Handwerk sind in den ungeahnten Fortschritten des 19. Zahrhunderts auf
dem Gebiete der gewerblichen Technik, des Verkehrs und des Handels zu suchen.
Wir folgen hier K. Bücher, der in seinem Werke „Die Entstehung der Volkswirtschaft“
fünf Hauptzüge des Umbildungsprozesses im Handwerk angibt: 1. Verdrängung des
Handwerks durch gleichartige Fabrikproduktion. Nur selten droht hier die kapitalistische
Großproduktion das Handwerk aus seinem ganzen Produktionsgebiet zu verdrängen,
wie z. B. bei der Weberei, der Uhrmacherei, der Hutmacherei, der Schuhmacherei. Das
Ergebnis ist bei dieser Entwicklung verschieden, je nachdem die Fabrikprodukte im Falle
der Abnutzung eine Reparatur zulassen oder nicht; im ersteren Falle wird das Handwerk
zum Reparaturgewerbe mit oder ohne Ladengeschäft, im letzteren Falle verschwindet
es ganz. 2. Schmälerung seines Produktionsgebiets durch Fabrik oder Verlag. Diese
tritt viel häufiger ein, indem entweder verschiedene Handwerke zu einer einheitlichen
Produktionsanstalt verschmolzen werden (z. B. Korbmacher, Schreiner, Wagner, Sattler,
Schmiede, Schlosser, Lackierer zu einer Kinderwagenfabrik), oder einzelne lohnende
Artikel, die sich zur fabrikmäßigen oder hausindustriellen Massenfabrikation eignen,
Lage des Handwerks.
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