Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Handwerk. 353 
Die größte Schwierigkeit liegt in der Notwendigkeit der Abgrenzung der einzelnen Ge- 
werbe voneinander. Da viele Handwerke ineinander übergehen, ist eine genaue Ab- 
grenzung der Arbeitsbefugnisse, die den einzelnen Gewerben zustehen, äußerst schwer 
durchzuführen. In Österreich sind denn auch solche Schwierigkeiten in zahllosen Streitig- 
keiten und Denunziationen zum Ausdruck gekommen. Der Befähigungsnachweis für 
das Handwerk würde auch, wie es in Osterreich schon geschehen ist, die Einführung eines 
solchen für den Kleinhandel zur Folge haben. So hat unsere deutsche Gesetzgebung mit 
den Vorschriften über den Schutz des Meistertitels und der Einführung des kleinen Be- 
fähigungsnachweises wohl mehr das Richtige getroffen, als die österreichische mit dem 
Verwendungsnachweis. Dem deutschen Handwerk kann nur geraten werden, die Jagd 
nach dem großen Befähigungsnachweis als eine AUtopie einzustellen. 
Besonders lebhaft sind seit Zahren die Klagen der 
Handwerker über die Schäden des Submissions- 
wesens, und eine gesetzliche Regelung wird sogar vielfach als eine Eistenzfrage für 
das Handwerk bezeichnet. Namentlich wird bemängelt die Zuschlagserteilung an 
einen der Mindestfordernden, infolgedessen entweder die Güte der Arbeit eine ge- 
ringere werde oder der Unternehmer bei der Ausführung Schaden erleide, ferner 
die nicht genügende Berücksichtigung der ortsansässigen Handwerker und die Aus- 
schreibung in zu großen Losen, die den lleinen Handwerker von vornherein ausschließe. 
In den letzten zehn Jahren hat besonders die preußische Regierung sich bemüht, 
diese Schäden möglichst abzustellen. 1905 erschien ein Erlaß des Ministers der öffent- 
lichen Arbeiten über die Allgemeinen Bestimmungen betr. die Vergebung von Leistungen 
und Lieferungen im preußischen Staat, der u. a. vorschreibt: „Bei der Auswahl der 
Unternehmer ist nach Möglichkeit zu wechseln, auch sind die ortsangesessenen Gewerbe- 
treibenden vorzugsweise zu berücksichtigen. Die A#usschreibungen sind tunlichst derart 
zu zerlegen, daß auch kleineren Gewerbetreibenden und Handwerkern die Beteiligung an 
der Bewerbung ermöglicht wird. Für die Ausführung sind ausreichend bemessene 
Fristen zu bewilligen. Oie niedrigste Geldforderung als solche darf für die Entscheidung 
über den Zuschlag keineswegs den Ausschlag geben, sondern der Zuschlag darf nur auf 
ein in jeder Beziehung annehmbaree, die tüchtige und rechtzeitige Ausführung der betr. 
Leistung oder Lieferung gewährleistendes Gebot erteilt werden. Angebote, die in einem 
offenbaren Mißverhältnisse zu der Leistung oder Lieferung stehende Preisforderungen 
enthalten, sind von der Berücksichtigung ausgeschlossen. Liegen von mehreren Hand- 
werkern gleichwertige Angebote vor, so sind bei der Zuschlagserteilung solche Bewerber 
vorzugsweise zu berücksichtigen, die berechtigt sind, den Meistertitel zu führen. Im 
übrigen ist bei öffentlichen Ausschreibungen der Zuschlag demjenigen der drei als Mindest- 
fordernde in Betracht kommenden Bewerber zu erteilen, dessen Angebot unter Berück- 
sichtigung aller Umstände als das annehmbarste zu erachten ist.“ Ein 1912 im Abgeord-- 
netenhause angenommener Antrag Hammer und Genossen bezweckt, die Bestimmungen 
des Erlasses von 1905 entsprechend zu ergänzen. Danach soll bei öffentlichen Aueschrei- 
bungen, für deren Ausführung auch eine handwerksmäßige Herstellung in Betracht 
Submissionswesen. 
  
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