Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Handwerk. 357 
  
die preußischen Handwerkskammern jährlich zusammen 35 000 M für die Lehrlings- 
ausbildung aufbringen, während allein der Staat ohne die Kommunen 3 Millionen bei- 
steuert; außerdem erklärte er sich zur weiteren Erhöhung der staatlichen Zuschüsse bereit. 
Gegen diese Enquete hat der Kammertag Bedenken wegen ihrer Zuverlässigkeit 
erhoben und will aus den Gewerbestatistiken von 1895 und 1907 den Beweis erbringen, 
daß seine Forderung nach Heranziehung des Großbetriebes zu den Kosten der Hand- 
werkskammern ganz allgemein berechtigt ist; auch weist er auf die wiederholte Stellung- 
nahme des Reichstags zugunsten dieser Forderung hin. Hinwiederum erkennt er aber 
auch die großen Schwierigkeiten zur Lösung dieser Frage an. 1912 hat nun die im Reichs- 
amt des Innern stattgefundene Handwerkerkonferenz beschlossen, zur Verständigung 
Beiträge von beiden Seiten (den Handwerks- und den Handelskammern) für Einrich- 
tungen zu geben, die gemeinsam für Lehrlinge des Handwerks und für junge Leute 
im Großbetriebe gedacht sind, wie Zugendheime, Fachschulen usw. 
Aufhebung des 3100 q der &60. Die Handwerker wünschen vielfach die Auf- 
hebungdes S100dber NÖO. bervorschreibt, 
daß die Zwangsinnung ihre Mitglieder in der Festsetzung der Preise ihrer Waren oder 
Leistungen oder in der Annahme von Kunden nicht beschränken darf, während dies den 
freien Innungen gestattet ist. Für die freien Innungen ist naturgemäß eine solche Be- 
schränkung nicht notwendig, da ja jedes Mitglied austreten kann, wenn ihm eine solche Maß- 
nahme nicht paßt. Die Gegner dieses Paragraphen erklären, daß durch ihn eine gedeihliche 
Tätigkeit der Zwangsinnung zur Förderung der wirtschaftlichen Interessen ihrer Mitglieder 
gehemmt sei; für gewerbliche Leistungen und Waren müßten gewisse bindende Mindest- 
preise festgesetzt werden, um die Preisdrückerei zu beseitigen; der §& 100 q verbiete dem 
Handwerk, was man der Großindustrie in Kartellen, Trusts und Syndikaten gestatte. 
Ob die Aufbebung der Beschränkung für die Zwangseinnungen bei der Verschiedenheit 
in den Verhältnissen im Gesamtinteresse des Handwerks liegt, steht dahin. Die Forde- 
rung der Beseitigung hat zwar bei den großen Parteien des Reichstags Anhänger ge- 
funden, aber die Vertretungen des Handwerk, sind sich selbst nicht einig; die in Berlin 
im Reichsamt des Innern stattgefundene Handwerkerkonferenz hat die Aufhebung ab- 
gelehnt, da die Beteiligten nicht schlüssig werdeen konnten, in welcher Form das Problem 
gelöst werden solle. Zedenfalls müßte die Aufhebung mit großen Kautelen geschehen; 
in der Sitzung des preußischen Abgeordnetenhauses vom 19. Februar 1913 fragte Minister 
Dr. Sydow mit Recht, ob es gut täte, zu sanktionieren, wenn z. B. eine Zwangsfleischer- 
innung dann die Fleischpreise für einen Ort festsetzte, ohne daß etwas dagegen zu machen 
sei; es gibt doch auch noch andere Menschen als Handwerker! Zu beachten ist auch, 
daß die Festlegung der Mindestpreise zur Forderung der Mindestlöhne führen würde. — 
  
Ausbildung des gewerblichen Nach- Die beiden Angelpunkte, um die sich 
die Gewerbeförderung in der Zukunft 
drehen muß und drehen wird, liegen auf 
dem Gebiete der technischen und kauf männischen Ausbildung des gewerblichen 
  
wuchses. — Landesgewerbeämter. 
  
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