Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
.VL Buch. Handwerk. 361 
  
tischer Schulung des Handwerkers werden die Erfolge sich noch weiter steigern. Welche Macht 
im Genossenschaftswesen liegt, zeigt die starke Ausbreitung und segensreiche Wirksamkeit 
der landwirtschaftlichen Genossenschaften, besonders der Kreditgenossenschaften, Roh- 
stoffgenossenschaften und Produktivgenossenschaften. Auch der Betrag der von den Kredit- 
genossenschaften gewährten Kredite beweist, welchen Nutzen der genossenschaftliche Ge- 
werbestand aus dem Kapitalismus unserer Tage zieht. So gewährten 1911 allein die 
977 berichtenden Kreditgenossenschaften des Allgemeinen Verbandes der deutschen 
Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften ihren Mitgliedern fast 4428 Millionen Mark 
Kredit, die 362 berichtenden Kreditgenossenschaften des Hauptverbandes der deutschen 
gewerblichen Genossenschaften in Berlin einen solchen von 1559 Millionen. Das sind 
beachtenswerte Zahlen auf dem deutschen Kapitalmarkt, die zudem von Jahr zu Zahr 
mächtig wachsen. — 
Ausblick. So sehen wir, daß der Staat sowohl in seiner Gesetzgebung als in seiner 
— Verwaltung dem Handwerk in der vielseitigsten Weise unterstützend zur 
Seite stehen und ihm auch in den Selbsthilfebestrebungen seinen starken Arm zur Erleich- 
terung leihen kann. Auch in Zukunft darf das deutsche Handwerk auf die wohlwollende 
Unterstützung des Staates rechnen. So ist zurzeit im Keichsamt des Innern der Entwurf 
einer Handwerkernovelle in Vorbereitung, bei deren Ausarbeitung alle schwebenden Hand- 
werkerfragen eingehend geprüft werden; auch soll den Vertretern des Handwerks Gelegen- 
heit zu ausgiebiger Erörterung gegeben werden 0. Aber schließlich muß doch die wirtschaft- 
liche Euergie des einzelnen Handwerkers den Ausschlag geben und ihm den Weg zum Er- 
folg bahnen. Da suche nun der heutige Handwerker nicht mit starrem Sinn Einrichtungen 
der früheren Zahrhunderte wiederherzustellen, für die unsere Zeit nicht mehr die Grundlage 
bietet. Zede Zeit hat eben ihr eigenes Gepräge, und wer sich ihrer Eigenart nicht anpaßt, der 
wird von ihr überflügelt. Vorwärts, nicht rückwärts muß der Handwerker schauen! Heut- 
zutage gilt es, sich vor allem eine möglichst vollkommene technische und kaufmännische 
Ausbildung zu verschaffen und dann seinen Betrieb ganz nach kaufmännischen Grund- 
sätzen auszugestalten. Einkauf, Zahlungsweise, Absatzwege usw. setzen heute ein viel 
höheres Maß von Intelligenz und kaufmännischer Tüchtigkeit voraus als in früheren Jahr-- 
zehnten. Es kommt darauf an, sich genügenden Kredit zu sichern, die Konkurrenz zu 
beachten und ihr zu begegnen wissen, eine vernünftige Keklame zu machen, sich Höflich- 
keit und Aufmerksamkeit im Umgang mit dem Publikum anzugewöhnen, in allem mit 
der Zeit fortzuschreiten und besonders mit dem leidigen Borgunwesen gründlich auf- 
zuräumens). Eine Reihe von persönlichen Eigenschaften muß den Handwerker aus- 
zeichnen: praktische Erfahrung, Gewandtheit, Findigkeit, Rührigkeit, Ordnungeliebe, Vor- 
sicht, Pünktlichkeit, Ausdauer, Mäßigkeit und Rüchternheit, Ehrbarkeit und strengste 
  
1) Am 30. Juni und 1. uli 1913 hat zu diesem Zwecke im Reichsamt des Innern eine Handwerker- 
konferenz stattgefunden. 
2) Aus meiner Sammlung von Lehrmitteln für gewerbliche und kaufmännische Schulen (Verlag von 
Fr. Wilh. Ruhfus, Dortmund) eignet sich für die theoretische Ausbildung des Handwerkers das Buch: 
Der Geschäftsmann, große Ausgabe 8 M., kleine Ausgabe 2 M. 
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