Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
374 Die Arbeiter-Sozlalpolitik. VI. Buch. 
  
Bei Meinem Regierungsantritt habe Ich Meinen Entschluß kundgege- 
ben, die fernere Entwicklung unserer Gesetzgebung in der gleichen Richtung 
zu fördern, in welcher Mein in Gott ruhender Großvater Sich der Fürsorge 
für den wirtschaftlich schwächeren Teil des Volkes im Geiste christlicher Sit- 
tenlehre angenommen hat. So wertvoll und erfolgreich die durch die Ge- 
setzgebung und Verwaltung zur Verbesserung der Lage des Arbeiterstandes 
bisher getroffenen Maßnahmen sind, so erfüllen dieselben doch nicht die 
ganze Mir gestellte Aufgabe. 
Neben dem weiteren Ausbau der Arbeiter-Versicherungsgesetzgebung 
sind die bestehenden Vorschriften der Gewerbeordnung über die Verhält- 
nisse der Fabrikarbeiter einer Prüfung zu unterziehen, um den auf diesem 
Gebiete laut gewordenen Klagen und Wünschen, soweit sie begründet sind, 
gerecht zu werden. 
Diese Prüfung hat davon auszugehen, daß es eine der Aufgaben der 
Staatsgewalt ist, die Zeit, die Dauer und die Art der Arbeit so zu regeln, 
daß die Erhaltung der Gesundbdeit, die Gebote der Sittlichkeit, die wirt- 
schaftlichen Bedürfnisse der Arbeiter und ihr Anspruch auf gesetzliche Gleich-- 
berechtigung gewahrt bleiben. 
Für die Pflege des Friedens zwischen Abbeitgebern und Arbeitnehmern 
sind gesetzliche Bestimmungen über die Formen in Aussicht zu nehmen, in 
denen die Arbeiter durch Vertreter, welche ihr Vertrauen besitzen, an der 
Regelung gemeinsamer Angelegenheiten beteiligt und zur Wahrnehmung 
ihrer IZnteressen bei Verhandlung mit den Arbeitgebern und mit den 
Organen Meiner Regierung befähigt werden. Durch eine solche Einrich- 
tung ist den Arbeitern der freie und friedliche Ausdruck ihrer Wünsche und 
Beschwerden zu ermöglichen und den Staatsbehörden Gelegenheit zu geben, 
sich über die Verhältnisse der Arbeiter fortlaufend zu unterrichten und 
mit den letzteren Fühlung zu behalten. 
Die staatlichen Bergwerke wünsche Ich bezüglich der Fürsorge für die 
Arbeiter zu Musteranstalten entwickelt zusehen, und für den Privatbergbau 
erstrebe Ich die Herstellung eines organischen Verhältnisses Meiner Berg- 
beamten zu den Betrieben, behufs einer der Stellung der Fabrikinspek- 
tionen entsprechenden Aufsicht, wie sie bis zum Jahre 1865 bestanden hat. 
Zur Vorberatung dieser Fragen will Ich, daß der Staatsrat unter 
Meinem Vorsitz und unter Zuziehung derjenigen sachkundigen Personen 
zusammentrete, welche Sch dazu berufen werde. Die Auswahl der letzteren 
behalte Ich Meiner Bestimmung vor. 
Unter den Schwierigkeiten, welche der Ordnung der Arbeiterverhält- 
nisse in dem von Mir beabsichtigten Sinne entgegenstehen, nehmen die- 
jenigen, welche aus der Notwendigkeit der Schonung der heimischen Indu- 
strie in ihrem Wettbewerb mit dem Auslande sich ergeben, eine hervor- 
ragende Stelle ein. Ich habe daher den Reichskanzler angewiesen, bei den 
822
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.