Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. gnnere Kolonisation. 37 
  
treibende und Handwerker in die Städte eingeführt und es war ein glückliches Zusammen- 
treffen, daß die Einwanderer aus den höher kultivierten Ländern, die zu uns kamen, 
in dieser Beziehung vorzügliches Material lieferten. 
Für die Ansiedlung wurde verwendet in der Hauptsache staatlicher Besitz: Forstland 
und Odländereien. Außerdem wurden auch von der Regierung die Großgrundbesitzer 
vielfach veranlaßt, auf wüst gelegenen Höfen Ansiedler anzusetzen. Gerade das Gebiet 
der Odlandkultur ist aber damals in einer Weise gefördert worden, wie sie heute noch als 
mustergültig angesehen werden kann. Friedrich der Große hat an diese Kultur Mittel 
gewendet, welche im Verhältnis zu dem damaligen Wert des Geldes und zur Finanzlage 
Preußens weit über das hinausgehen, was in neuerer Zeit bisher geleistet worden ist. 
Damals konnte der Landesherr in dem kleineren Staate sich noch um die Einzel- 
heiten, nicht nur bezüglich der Ansetzung der Kolonisten, sondern auch bezüglich ihrer 
Wirtschaftsweise bekümmern, und mit Bewunderung sehen wir, wie namentlich Fried- 
rich II. auch die technischen Fragen des landwirtschaftlichen Betriebes beherrscht, die 
Bestellung, die Auswahl der Früchte, den Umfang der Viehhaltung bestimmt und viel- 
fach verbessert. Vor allen Dingen aber hat er auch die schwierigste Frage auf diesem 
Gebiet zu lösen verstanden, indem er die tüchtigsten Männer heranzog und ihnen eine 
möglichst weitgehende Machtoollkommenheit gab, um auf diese Weise durch größere 
Freiheit und Beweglichkeit das gewaltige Kulturwerk zu fördern. 
In welchem Umfange diese drei Hohenzollernfürsten ihre Aufgaben erfüllt haben, 
das läßt sich aus einem Vergleich der Bevölkerungsziffern erkennen. Von derjenigen 
Bevölkerung, welche beim Tode Friedrichs des Großen vorhanden war, bestand un- 
gefähr ein Drittel aus den seit der Kegierung des Großen Kurfürsten Eingewanderten 
und ihren Nachkommen. 
DHas 19. Fahrhundert. Nah Friedrich dem Großen folgt wiederum eine 
lange Pause von fast einem Jahrhundert. Eine größere 
Aktion sehen wir nur unter Friedrich Wilhelm llI. in der Einwanderung der Ziller- 
taler. Allmählich setzt dann im 19. Jahrhundert diejenige Entwicklung ein, welche einen 
Abfluß der Bevölkerung vom platten Lande und überhaupt aus unserer Heimat herbei- 
führt. Es beginnt die überseeische Auswanderung und allmählich mit der steigenden 
Industrialisierung und mit dem Wachstum der Städte die Abwanderung der Bevölkerung 
von dem flachen Lande. « 
Schon in den 60er und 70er Jahren des vorigen Zahrhunderts verschärft sich dieser 
Zustand so, daß wir schon in dieser Zeit im Preußischen Landtage und im Kreise ein- 
sichtiger Bolkswirte vielfach die Frage erörtert sehen, wie der Entvölkerung des 
platten Landes gesteuert werden könne. Es ist nicht ohne Interesse, daß in diesen 
Verhandlungen schon in den 70er Jahren ein Mann in den Vordergrund tritt, der später 
berufen war, auf diesem Gebiet besonders tätig zu sein: Miquel. Dieser hat mit die 
ersten Verhandlungen über diesen Gegenstand eingeleitet. Leider geht neben diesen 
Anfängen zur Förderung einer gemeinnützigen Kolonisation aber auch eine weit um 
sich greisende Privat-Güterschlächterei her. Man hoffte damals vielfach, daß auf diesem 
  
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