Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
  
388 Die Arbeiter-Sozialpolitik. VI. Buch. 
Im Handelsgewerbe darf die Beschäftigung zusammen höchstens 5 Stunden 
betragen. Durch statutarische Bestimmung einer Gemeinde oder eines weiteren Kom- 
munalverbandes kann diese Beschäftigung allgemein oder für bestimmte Gewerbezweige 
weiter beschränkt oder auch ganz untersagt werden. 
Am ersten Weihnachts-, Oster- und Pfingsttage ruht die Beschäftigung ganz. Die Stunde der Rube- 
zeit bestimmt die Ortspolizeibehörde, wobei auf den Hauptgottesdienst Rücksicht zu nehmen ist. 
Während im allgemeinen nur den Arbeitgebern untersagt ist, ihre Arbeiter, Gehilfen und Lehrlinge zu 
beschäftigen, ist im Handelsgewerbe dem Arbeitgeber auch die eigene Tätigkeit und der ganze Betrieb während 
der Ruhestunden der Gehilfen verboten (§ 41 a). Diese Beschränkung gebot sich aus Rücksichten der Konkurrenz, 
damit nicht die auf Gehilfen angewiesenen Geschäfte gegenüber den Geschäften, in welchen der Prinzipal 
mit seinen Familienangehörigen tätig ist, im Nachteil seien. — Auf Antrag von zwei Oritteln der beteiligten 
Arbeitgeber kann auch in solchen Gewerben, die der Befriedigung tagtäglicher Bedürfnisse dienen (z. B. 
Barbiere, Bäcker), die Ruhezeit für die Gehilfen auch auf die Arbeitgeber ausgedehnt werden (§ 41b). 
Die notwendigen Ausnahmen bezüglich der Sonntagsruhe sind genau umschrieben 
und so an Bedingungen geknüpft, daß auch da die Zwecke des Arbeiterschutzes noch 
tunlichst gesichert bleiben. 
Arbeiten in Notfällen oder im öffentlichen Interesse, die unverzüglich vorgenommen werden mühssen, 
die gesetzliche Inventur, die Bewachung der Betriebsanlage, Neinigungs- und Instandhaltungsarbeiten, 
soweit sie den regelmäßigen Fortgang oder die Wiederaufnahme des Betriebes am kommenden Werktag 
bedingen, Arbeiten zur BVerhütung des Verderbens von Rohstoffen sind kraft Gesetzes ohne weiteres 
zuladssig. Zur Kontrolle, daß nicht die Arbeiter mehr als notwendig in Anspruch genommen werden, ist ein 
Verzeichnis vorgeschrieben, in welches die Zahl der beschäftigten Arbeiter, die Dauer und Art der Beschäfti- 
gung eingetragen wird. Jedenfalls soll den Arbeitern, sobald die Arbeit 3 Stunden überschreitet, oder der 
Besuch des Gottesdienstes unmöglich gemacht wird, der zweite Sonntag (von morgens 6 Uhr bis abends 
6 Uhr) oder der dritte Sonntag (mit 36 Stunden) freigegeben werden. 
Für Betriebe, die ihrer Natur nach eine Unterbrechung nicht gestatten (Betriebe mit ununter- 
brochener Feuerung, z. B. Hochöfen) oder von chemischen Prozessen abhängen, sowie für Kampagne- und 
Saisonindustrien werden die notwendigen Ausnahmen durch den Bundezerat festgesetzt (§ 105 d). Diese Aus- 
fübrungsverordnung ist sehr sorgfältig, umfaßt 8 Hauptgruppen mit ca. 80 Nummern und ist zugleich mit 
Erläuterungen versehen, um eine mißbräuchliche Ausdehnung abzuschneiden. Auch Hier wird die Ruhe des 
zweiten oder dritten Sonntags gesichert. 
Für Gewerbe, die der Befriedigung tagtäglicher oder zu Sonn- und Festtagen besonders hervor- 
tretender Bedürfnisse dienen (Bäcker, Barbiere, Metzger, Gasanstalten, Zeitungsdruckereien usw.), setzt 
die höhere Verwaltungsbehörde die Ausnahmen und die näheren Bedingungen fest (& 105 ec). In ähn- 
licher Weise sind Ausnahmen für die Betriebe getroffen, welche auf Benutzung von Wind und unregel- 
mäßige Wasserkraft angewiesen sind (s 105 e). Endlich kann in besonderen Fällen für einzelne Betriebe, 
wenn sich plötzlich Sonntagsarbeit zur Verhütung eines unverhältnismäßigen Schadens als not- 
wendig erweist, die untere Verwaltungsbehörde solche erlauben. Diese Erlaubnis muß aber schriftlich 
gegeben und Abschrift in der Arbeitsstätte ausgehängt werden. Damit die untere Verwaltungsbehörde nicht 
zu leicht die Erlaubnis erteilt, wird sie verpflichtet, ein genaucs Verzeichnis zu führen über Betriebe, Zahl 
der Arbeiter, Dauer, Gründe usw. 
Auf Grund all dieser Kautelen darf heute die Sonntageruhe als gesichertes Gut 
unserer deutschen Arbeiterschaft gelten. 
Während vor 1892 gerade im Handelsgewerbe, besonders in offenen Verkaufsgeschäften, die Sonntags- 
arbeit in weitestem Maße Regel war und deshalb die Durchführung der Schutzbestimmungen am schwierigsten 
sich erwies, haben heute alle größeren Städte bereits von dem statutarischen Recht einer weiteren Herabsetzung 
der Verkaufszeit Gebrauch gemacht und ist auch bereits ein Gesetzentwurf zur weiteren Beschränkung der Ar- 
beitezeit im Handelsgewerbe vorgelegt. 
Schutz der Kinder und jungen Leute. Kinder (unter 14 Zahren) durften 
nach der Gewerbeordnung von 1869 
  
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