VI. Buch. Die Arbeiter-Sozialpolitik. 395
Uberall dort, wo Arbeiterausschüsse in diesem Sinne geschaffen und ausgebaut sind,
haben sie sich auch durchaus bewährt. Durch die Bestimmungen bezüglich der An-
börung der Arbeiter bei Erlaß und Abänderung der Arbeitsordnung, der Mitwirkung
bei der Verwaltung der Wohlfahrtseinrichtungen usw. hoffte man, die Einführung
von Arbeiterausschüssen wirksam zu fördern. Leider hat sich diese Hoffnung nicht
erfüllt. Aur in verhältnismäßig wenig Fabriken bestehen solche Arbeiterausschüsse,
und soweit solche bei Erlaß der Arbeitsordnung geschaffen worden sind, sind sie
meistens nicht weiter gepflegt und entwickelt worden.
Die Arbeiterschutzkommission des Reichstags hat auf Grund dieser Ersahrungen bei Beratung der
großen Arbeiterschutzuovelle 1908 mit großer Mehrheit die obligatorische Einführung der Arbeiteraus-
schüsse und Ausstatttung mit weiterem Recht beschlossen; jedoch sind diese Beschlüsse nicht zu gesetzgebe-
rischer Berabschiedung gekommen.
Was die Arbeiterausschüsse in dem einzelnen Betrieb bezwecken: „Die Fühlung zwischen
Arbeitgebern und Arbeitern“ zu sichern und den Arbeitern „den freien und friedlichen Ausdruck
ihrer Wünsche und Beschwerden“" zu ermöglichen, das sollte für die großen, gewerblichen Berufsgruppen
durch die Errichtung von „Arbeitskammern" erreicht werden. Insbesondere sollten so die Arbeiter „zur
Wahrnehmung ihrer Interessen bei Verhandlung“" nicht bloß mit den Arbeitgebern, sondern auch „mit den
Organen der Regierungen" befähigt und diesen so zugleich Gelegenheit gegeben werden, „sich über die
Verhältnisse der Arbeiter fortlaufend zu unterrichten und mit diesen Fühlung zu behalten“ (Februar-Erlaß).
Leider ist der entsprechende Gesetzentwurf 1908 in der zweiten Lesung im Plenum des Reichstages stecken
geblieben, da der Beschluß der Kommission, daß auch Gewerkschaftssekretäre als Vertreter der Arbeiter (bis
zu höchstens einem Viertel) wählbar sein sollten, von den verbündeten Regierungen als unannehmbar er-
Härt wurde.
NRegelung der Lohnzahlung. Lohn- Baldige und klare Festsetzung der Arbeits-
bücher und Lohnzettel. bedingungen: Art, Umfang derübertragenen
A#rpbeit, Bedingungen für die Lieferung von
Werkzeugen und Stoffen, Lohnsätze, Tag der Lohnzahlung usw., Zeitpunkt der Ab-
lieferung hat sich vor allem in der Hausindustrie als dringendstes Bedürfnis erwiesen.
Deshalb ist durch die Novelle von 1900 resp. (neu gefaßt) 1911 dem Bundesrat das
Recht gegeben worden, für bestimmte Gewerbe Lohnbücher oder Lohnzettel vorzu-
schreiben (§ 114 a). Für die Kleider- und Wäschekonfektion ist von dieser Voll-
macht Gebrauch gemacht.
Weiterhin haben die Vorschriften bezüglich der Lohnzahlung (Verbot des Trucks
usw.) durch die Novelle von 1891 mehrfache Erweiterung erfahren.
Die Arbeitslöhne sind in Reichswährung zu berechnen und bar auszuzahlen (§F 115). Die Arbeitgeber
dürfen keine Waren kreditieren. Lebensmittel dürfen nur mit den Anschaffungskosten, Wohnung und Land-
nutzung nur mit den ortslblichen Miet- und Pachtpreisen, regelmäßige Beköstigung, Feuerung usw., Werk-
zeuge und Stoffe zu den übertragenen Arbeiten nur mit den durchschnittlichen Selbstkosten in Anrechnung
gebracht werden. Die Auslöhnung in Schankwirtschaften und Verkaufsstellen ist verboten; ebenso die Aus-
zahlung des Lohnes an Dritte auf Zession hin (3 115 a). Lohneinbehaltungen zur Schadloshaltung im
Falle des Kontraktbruches sind dahin beschränkt, daß die Einbehaltung für die einzelne Lohnzahlung Höchstens
ein Viertel betragen und im ganzen hböchstens einen Wochenverdienst erreichen darf. Für Betriebe mit
mindestens 20 Arbeitern ist durch die Novelle von 1911 vorgeschrieben, daß bei der regelmäßigen
Lohnzahlung ein schriftlicher Beleg (Lohnzettel, Lohntüte, Lohnbuch usw.) über den Betrag des
verdienten Lohnes und die Arten der Abzüge ausgehändigt wird.
Endlich kann durch statutarische Bestimmungen einer Gemeinde oder eines weiteren Kommunalver-
bandes bestimmt werden, daß die Lohnzahlung in bestimmten Fristen erfolgen muß, daß für Minderjährige
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