Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Die Arbeiter-Sozialpolitik. 403 
  
Die Kranken- und Unfallversicherung haben für Anstaltspflege von 1885 bis 1911 
nicht weniger als 700 Millionen Mark ausgegeben. Dazu kommen 175 Millionen, welche 
die Invalidenversicherung für Heilbehandlung verwendet hat, wohl auch fast ausschließ- 
lich in Heilanstalten. Damit haben naturgemäß diese Anstalten und Einrichtungen eine 
mächtige Förderung erfahren. 
So gab es in Deutschland allgemeine Kran- 1877 1905 1906 1907 
kenhäuser)):i: 1822 3726 3801 3862 
Die Zahl der verpflegten Kranken betrug 1 380 792 1626 216 1 727 838 
Die Lungenheilstätten haben erst durch die Arbeiterversicherung ihre Bedeutung 
gewonnen. Während 1877 erst 4 Lungenheilstätten bestanden, stieg ihre Zahl: 
1888 1900 1905 1911 1912 
auf 7 58 113 135 139 
Es betrug die Zahl der Arzte und Zahnärzte 1892: 20500, 1912 dagegen 35 998; 
die der Apotheken 1892: 4964, 1912: 6474. 
Die Versicherung hat unserer medizinischen Wissenschaft und unserer öffentlichen 
Gesundheitspflege neue Impulse und vor allem die Mittel für neue Erfahrungen, Ein- 
richtungen und Methoden gegeben. Die modernen Heilanstalten erfreuen sich einer Aus- 
rüstung, wie sie vor Zahrzehnten unmöglich erschien. Und nicht bloß die Anstaltsbehand- 
lung hat Fortschritte gemacht, sondern auch die freien Fürsorgebestrebungen. So haben 
speziell die Invalidenanstalten durch ihre reichlichen Unterstützungen erst die schnelle 
und weite Verbreitung von Walderholungsstätten, von Fürsorge- und Aus- 
kunftsstellen für Lungentuberkulose, Akoholbekämpfung usw., die Errichtung von 
Krankenpflegestationen in den Landgemeinden usw. ermöglicht. Die Aufwendungen 
für derartige Zwecke betrugen z. B. 1911 über 1 Million Mark. 
Die Auskunfts- und Fürsorgestellen und Polikliniken für Lungenkranke sind über- 
haupt erst seit 1900 ins Leben getreten. Ihre Zahl beträgt heute 756; dazu kommen 
dann noch etwa 590 Tuberkuloseausschüsse in Baden. Daß die spstematische Bekämpfung 
dieser verheerenden Volkskrankheit nicht ohne Erfolg geblieben ist, beweisen folgende 
Zahlen: 
Auf je 10 000 Einwohner kamen Tuberkulose-Sterbefälle: 
1880 1890 1900 1905 1910 1912 
icht 
in Heutschland. 534,68 29,62 2226 21,6 17/80 1% % 
in Preußgen 32—53 28,35 21,15 19,13 15,29 15,17 
Die Fortschritte der Heilbehandlung, die zahlreichen Heilanstalten und Fürsorge- 
organisationen kommen auch den übrigen Volkskreisen zugute. Die Bestrebungen wachsen, 
ihnen die Benutzung durch Organisationen der Beteiligten (z. B. der Kaufleute) und 
gemeinnützige Vereine in weiterem Maße zu ermöglichen. Auch die individuelle 
Gesundheits- und Krankenpflege hat große Fortschritte gemacht. Jeder Arbeiter, 
der die gesundheitliche Schulung einer Heilanstalt durchgemacht hat, wird damit zum 
1) Das Deutsche Reich in gesundheitlicher und demographischer Beziehung. 1907, S. 399. Medizinal- 
statistische Mitteilungen des Reichsgesundheitsamts 1912, S. 74ff. 
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