Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. Die Arbeiter-Sozialpolitik. il 
  
Werbekraft des Versicherungs- Der Versicherungsgedanke hat immer 
gedankens. mehr im Volke Boden gewonnen. Die 
Versicherten machen in weiterm Maße von 
der freiwilligen Weiter- und Höherversicherung Gebrauch. So kommen die Wohltaten 
der Versicherung auch dem Mittelstande in steigendem Maße zugute. Die freien Zu- 
schußkassen wachsen an Mitgliederzahl und Leistungen. Erstere stieg z. B. von 1907 bis 
1911 von 396602 auf 589348, die Einnahmen von 10,5 Mill. Mark auf 15,6 Mill. Mark. 
Und wie die gesetzliche Versicherung erziehlich gewirkt hat, wird am besten durch die bei- 
spiellose Verbreitung der Volksversicherung erwiesen. ODie Zahl der Versicherungs- 
scheine betrug 1888: 308 415, 1911 dagegen 8 431 950, während die Versicherungssumme 
dieser Zeit sogar von 62,5 Mill. auf 1749 Mill. stieg. 
  
Gewerkschaftliche Organisationen. Das sind Beträge, die groschenweise zu- 
sammengebracht, vom Munde abgespart 
werden müssen. Wieviel Selbstbeherrschung und Opfersinn bekunden sie nicht! Und wie 
die wirtschaftliche Kraft und Energie in unserem Arbeiterstand gewachsen ist, 
beweist vor allem die Entwickelung unserer Gewerkschaftsorganisationen. 
Die freien Gewerkschaften zählten 1912 2 530 390 Mitglieder und hatten eine Jahreseinnahme von 
80 Mill. Mark, einen Vermögensstand von 80 Mill. Mark. Die Hirsch-Dunckerschen Gewerkvereine hatten 
bei einem Mitgliederbestande von 109 225 eine Gesamtjahreseinnahme von 2,7 Mill. Mark und ein Gesamt- 
vermögen von 4,5 Mill. Mark. Oen christlichen Gewerkschaften gehörten 344 687 Mitglieder an; ihre Ein- 
nahmen stellten sich auf 6,6 Mill. Mark, ihr Kassenbestand auf 8,6 Mill. Mark. Außerdem gab es noch 33 „Unabhän- 
gige Vereine“, die 815 416 Mitglieder, 1,8 Mill. Mark Zahreseinnahme und 2,3 Mill. Mark Vermögen aufwiesen. 
Dank dieser starken gewerkschaftlichen Organisationen hat sich unser Arbeiterstand 
auch die tatsächliche Gleichberechtigung bei Abschluß des Arbeitsvertrages mit den Arbeit- 
gebern mit steigendem Erfolg erkämpft. An Stelle der individuellen Festsetzung der 
A#behitszeit, der Löhne und der sonstigen Arbeitsbedingungen treten immer mehr Tarif- 
verträge zwischen den beiderseitigen Organisationen unter Begleichung der Streitig- 
keiten durch gemeinsam errichtete Schiedsinstanzen. 
Die Zahl dieser Tarife stieg von 1907 bis 1911 von 3324 auf 10 520; die Zahl der einbezogenen 
Betriebe von 111.050 auf 185 232, und die der Arbeiter von 974564 auf 552 827. 
  
Gleichberechtigung des Unser Arbeiterstand hat mit vollem Erfolg den Kampf 
Arbeiterstandes. für die wirtschaftliche, politische und gesellschaftliche 
Gleichberechtigung mit den andern Kreisen ausgenommen 
und zum guten Teil durchgeführt. Die umfassende verantwortliche Mitverwaltung in 
der Arbeiterversicherung, in den selbstgeschaffenen Gewerkschaften und Genossenschaften, 
die richterliche Tätigkeit in den Schiedsgerichten der Arbeiterversicherung und in den 
Gewerbegerichten haben das Znteresse und die Befähigung für die Mitbetätigung auch 
im Gemeinde- und Staatsleben wirksam gefördert. So rückt der Arbeiterstand auch 
in den gesetzgebenden Körperschaften, in den Gemeindeverwaltungen, in den politischen 
Organisationen den übrigen Ständen gleichberechtigt und gleichwertig an die Seite. 
Aus dem gedrückten, verachteten oder bemitleideten „Proletarier“ ist der wirtschaftlich 
  
  
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