410 Die Arbeiter-Sozialpolitik. VI. Buch-
gehobene, selbstbewußte, emporstrebende, für ideale Ziele begeisterte Vollbürger ge-
worden. Kein Stand betätigt mehr Opfersinn und Selbstbeherrschung im Interesse
der Solidarität, kein Stand bekundet mehr Eifer und Hingabe für die eigne Fortbildung
und Schulung als der Arbeiterstand. Dank unserer Sozialpolitik ist so eine Fülle von
geistigen und moralischen Kräften in unserm Arbeiterstande geweckt und
gestärkt worden. Und das ist nicht bloß ein Gewinn der Kultur und unseres Gesell-
schafts- und Staatslebens, sondern liegt vor allem auch im Interesse der nationalen
Produktion. Denn bei dem gewaltigen Fortschritt der Technik in Landwirtschaft und
Industrie, der steigenden Kompliziertheit der Maschinen und der hohen Verantwortung
ihrer Bedienung gewinnt die Initiative, Intelligenz und Tüchtigkeit des einzelnen Mannes
immer mehr an Bedeutung, und es wird auch im Wettkampf der Völker auf dem Welt-
markt dasjenige Volk den Sieg erringen, das über den bestgeschulten, gewecktesten und
strebsamsten Arbeiterstand verfügt.
Es ist ein Bild zukunftsfroher Entwickelung, das unser Volk bietet.
Unter der von hohen Zielen getragenen Führung unseres Kaisers
sind wir auch wirtschaftlich gewachsen und stark geworden. Im Wettkampf der Völker
haben wir uns siegreich behauptet, neue Gebiete erobert. Aber auch im Innern hat sich
unsere wirtschaftliche Kraft gesteigert und gefestigt. Das Bewußtsein der Solidarität, der
Zusammenhalt der verschiedenen Bevölkerungeschichten ist gewachsen. Der gerechte Aus-
gleich der Interessen wird immer mehr als das Ziel der nationalen Politik erkannt und
erstrebt.
Das gilt vor allem auch von unserem Arbeiterstande. Hier hatte die soziale Un-
zufriedenheit und Berhetzung am tiefsten eingesetzt; hier war die soziale Fürsorge am
dringendsten; hier ist in den letzten 30 Zahren auch Großes und Nachhaltiges geschaffen
worden. „Ob wir nun Dank oder Undank für unsere Bestrebungen zur Aufbesserung
des Loses der arbeitenden Klassen ernten, in diesen Bestrebungen werden wir nicht
erlahmen“, so hat unser Kaiser vor 25 Jahren es versprochen, so hat er es getreu gehalten.
„Ich habe die Überzeugung, daß diese staatliche Fürsorge uns zu dem Ziele führen wird,
die arbeitenden Klassen mit ihrer Stellung innerhalb der gesellschaftlichen Ordnung zu
versöhnen“: dieser hoffenden, vertrauenden Politik ist er treu geblieben, und auch „der
andauernde Widerstand gerade von der Seite, welche glaubt, die Vertretung der Arbeiter-
interessen vorzugsweise für sich in Anspruch nehmen zu können“, hat ihn nicht erschüttert
in der Zuversicht „auf den endlichen Sieg gerechter Erkenntnis des Geleisteten
und auf wachsendes Verständnis des wirtschaftlich Möglichen in allen Kreisen
des deutschen Volkes“. (Erlaß vom 17. November 1906, zum Gedenktag der November-
botschaft.) Das sind wahrhaft königliche Worte, die getragen sind von dem hohen Pflicht-
gefühl: „in Erfüllung der vornehmsten Christenpflicht auf den Schutz und das Wohl der
Schwachen und Bedürftigen fortgesetzt bedacht zu sein“.
Wo so viel edler Wille, so hohe Auffassungen, solch unerschütterliches Vertrauen
so Großes geschaffen haben für unsern deutschen Arbeiterstand, sollte dieser sich trotzig
und blind dem allem dauernd verschließen? Sollte der deutsche Idealismus, die deutsche
Hoffnungen.
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