Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
40 Znnere Kolonisation. Vl. Buch. 
  
Neben diesen Arbeiten gehen ziemlich gleichzeitig die ersten 
Anfänge der Besiedlung der großen Moore im preußischen 
Westen. Hier sind es zwei Männer, die an der Spitze stehen, welche die ersten Versuche 
gemacht haben, um ein Vorbild auf diesem Gebiete zu schaffen: Freiherr von Hammer- 
stein und von Bennigsen. Beide haben mit weitschauendem Blick und kühnen Ent- 
schluß trotz großen Widerstandes in der Provinzialverwaltung von Hannover das erste 
Siedlungsunternehmen, das sogenannte Provinzialmoor an der Ems gegründet. Man 
kann es vielleicht bedauern, daß die preußische Staatsverwaltung diesem Beispiel zu 
schnell gefolgt ist, ohne zunächst die Erfahrungen abzuwarten, welche gemacht werden 
mußten, und daraus erklären sich die ungünstigen Urteile, welche über die Moorkultur 
in Deutschland im Vergleich zu der holländischen gefällt worden sind. Man sollte dabei 
nicht vergessen, daß in Holland nach jahrhundertelanger Arbeit bei den dortigen Veen- 
kulturen ganz andere Verhältnisse vorliegen als bei uns in Preußen, wo wir gezwungen 
waren, ein vollkommen neues System der Kultur und Besiedlung der unabgetorften 
Moore zu schaffen unter Uberwindung kolossaler Schwierigkeiten auf den verschiedensten 
Gebieten. So kam es, daß diejenigen Kolonisationen, welche in erster Reihe entstanden, 
im Provinzialmoor und im Marcardsmoor, natürlich ale die ersten großen Versuche auch 
an manchen Fehlern jahrelang gekrankt haben. Heute aber stehen wir in der Technik der 
Movorkultur auf einem so hohen Standpunkte, daß wir auch unter unseren schwierigeren 
Verhältnissen den Vergleich mit Holland in keiner Weise mehr zu scheuen haben und daß 
wir bei nötiger Vorsicht ohne Bedenken Kolonisten in unseren Mooren ansetzen können, 
wenn sonst die Ansetzung praktisch gehandhabt wird und den Kolonisten nicht zu hohe 
Preise für die Grundstücke abgenommen werden. 
Das ungefähr sind die Verhältnisse, wie sie heute liegen. Besiedelt sind in dem 
Zeitraume bis 1911 von der Ansiedlungskommission, der Generalkommission und den 
Privatgesellschaften rund 42 000 Stellen, eine stattliche Zahl, aber doch nur ein 
Tropfen auf den heißen Stein. 
Moorbesiedlung. 
  
Weshalb innere Kolonisation? Beschäftigen wir uns nun mit der Zukunft 
der inneren Kolonisation, so haben wir 
zunächst die Frage zu beantworten: Weshalb sollen und müssen wir diese 
fördern? Wir finden in der Geschichte aller Kulturvölker einen Zeitpunkt, der ver- 
hängnisvoll für ihre Existenz wird, nämlich den, in welchem aus dem Agrarstaat heraus 
sich der Handels- und Industriestaat entwickelt, welcher, über die Grenzen des eigenen 
Landes mit seinen Interessen hinausgehend, vergißt, daß die dauernde Kraft und Stärke 
des Volkes im Inlande liegt, in welchem man nun, geblendet durch den Glanz dieser 
Entwicklung, das ganze Schwergewicht auf den Exporthandel legt und damit nicht nur die 
eigene Landwirtschaft ruiniert, sondern auch die Bevölkerung, welche diese Landwirt- 
schaft betreibt, welche aber gleichzeitig der Zungbrunnen des ganzen Volkes ist. An diesem 
Wendepunkt steht meiner Auffassung nach heute unser Baterland. Sehen wir die Ent- 
wicklung an, welche in den industriellen Bezirken bereits eingetreten ist, so finden wir 
dort eine scharfe Scheidung zwischen dem großkapitalistischen Unternehmertum und dem 
  
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