Das Bevölkerungsproblem
Von Geh. Reg.-Nat Dr. Julius Wolf, Prof. an der Techn. Hochschule Charlottenburg
Seit Kaiser Wilhelm II. regiert, fesseln immer neu zwei Tendenzen der Bevölke-
rungsbewegung die allgemeine Aufmerksamkeit: der Nückgang der Sterblichkeit und
der Rückgang der Geburten.
Rückgang der Sterblichkeit. Es gibt keine Erscheinung, die für das zunehmende
materielle Gedeihen unseres Volkes so beredtes
Zeugnis ablegt, wie die Größe des Rückgangs der Sterblichkeit. Insgesamt starben
1871/80 jährlich 28,8 von 1000 Menschen, 1901/10 waren es nur mehr 19,7. Dement-
sprechend hat sich die mittlere Lebensdauer bei dem männlichen Geschlecht in dieser
Zeit von 35,6 auf 44,8, bei dem weiblichen von 38,45 auf 48,3 Jahre erhöht. Hier und
dort hat sie also binnen verhältnismäßig kurzer Frist um nicht weniger als ein volles
Biertel (genau 26 und 25,7%) zugenommen. Das ist eine Errungenschaft, die sich nur
schwer gebührend würdigen läßt. Sie bedeutet ein ganz beträchtliches Seltnerwerden
von Krankheit, Kummer und Elend, einen ungeheuren individuellen und sozialen Ge-
winn, der allerdings der Masse nicht bewußt geworden ist.
An dem Rückgang der Sterblichkeit haben alle Altersklassen ihren Anteil. Die Wahr-
scheinlichkeit, im ersten Lebensjahre zu sterben, hat um etwa 20 % abgenommen, die
1 bis 9 Jahre alten Kinder hatten 1901/10 eine um rund 50 % geringere Sterblichkeit
als 30 Jahre zuvor, in den höheren Altersstufen hat sich die Sterbenswahrscheinlichkeit
für das männliche und weibliche Geschlecht folgendermaßen vermindert:
Männl. Geschlecht Weibl. Geschlecht
Alter: Jahre um Prozente
10 bis unter 20 34,1 32,9
20 „ 30 39,2 34,6
30 „ „ 40 24,7 38,2
40 „ „ 680 — 26,5 33,0
30 „ „ 60 16,7 25,5
60 „ „ 70 14,4 20,6
70 „ „ 80 11,6 14,9
80 „ „ 90 4,8 7.
Die Sterbenswahrscheinlichkeit ist also, soweit die Altersstufen über 10 Jahre in
Betracht kommen, beim männlichen Geschlecht, zumal im Alter von 20—30 Jahren,
863