VI. Buch. Das Bevslkerungsproblem. 41
und Gesellschaftslebens“ fügt sich als LTeilerklärung Oldenbergs Hinweis auf die Be-
deutung der prozentualen Zunahme der städtischen Bevölkerung, denn die Stadt ist der
Ort, wo der Prozeß die Rationalisierung am frühesten und intensiosten einsetzt.
Oer Geburtenüberschuß in Eeistvon durchschlagender Wichtigkeit für die Pro-
gnose und für die weitere Behandlung des Problems,
ob die von uns gegebene Erklärung des Geburten-
rückgange, die Übrigens die daneben wirkenden Momente nicht übersehen und in ihrer
Bedeutung nicht verkleinern will, im Kern das Richtige trifft. Ist das der Fall, so ist
mämlich ein Ende des Geburtenrückgangs noch auf lange hinaus nicht abzusehen. Da
aber der Rückgang der Sterblichkeit, der ja heute schon hinter dem Rückgang der Geburten
zurückbleibt, letzterem auch weiterhin nicht ebenmäßig folgen kann, so muß allmählich
der Geburtenüberschuß kleiner und kleiner werden, ähnlich wie seit längerem in
Frankreich. In Frankreich haben das katholische Bekenntnis der Bevölkerung —
die katholische Religion bezeichnet den Gebrauch von Präventiomitteln als Todsünde —
und die starke Quote ländlicher Bevölkerung dem Rückgang der Geburten entgegen-
gewirkt, trotzdem ist Frankreich jetzt bereits bei einer Geburtenziffer angekommen,
welche die durch die Sterblichkeit gerissenen Lücken nur knapp und nicht jedes Jahr
mehr auszufüllen vermag. Und nach der Voraussage eines so berufenen Mans wie
Paul Lerop-Beaulieu geht Frankreich nunmehr Zeiten entgegen, wo die Zahl der
Sterbefälle über die der Geburten immer stärker hinauswachsen dürfte. Die große Frage
ist nun, ob Frankreich damit der kommenden Entwicklung in Deutschland
den Spiegel vorhält. Darauf ist zu antworten, daß in Deutschland einer so weit-
gehenden Beschränkung der Kinderzahl wie in Frankreich der expansive Charakter der
Volkswirtschaft, d. h. die reichlichere und wachsende Verwendungsgelegenheit für Arbeits-
kräfte, wie weiterhin der Umstand entgegenwirkt, daß die Religion, welche Kinder
als göttlichen Segen betrachtet, bei uns mehr wirkliche Bekenner als in dem seit langem
atheistischen Frankreich hat. Ob diese Kräfte sich aber auf die Dauer als stark genug erweisen
werden, dem Rückgang der Geburten zu steuern, muß mindestens als zweifelhaft bezeichnet
werden. Es will beachtet sein, daß es auch in den katholischen Bezirken kaum ein „Halten“
mehr gibt. Das besagen beispielsweise die folgenden Daten, in denen einige spezifisch
katholische Provinzen einigen spezifisch protestantischen mit z. T. verwandten wirtschaft-
lichen Verhältnissen gegenübergestellt werden:
vorwiegend katholische Provinzen Preußens
Gegenwart und Zukunft.
Fruchtbarkeit 1901/1905 1906 / 1010
Westpreufen 192,7 180,9 —1188
Posen 191,1 180,1 —110
Rheinproriiz 163,9 140,7 —14½
vorwiegend protestantische Provinzen Preußens «
Fruchtbarkeit 1901/1905 19061910 -
oftpkeußeu........ 165,6 153,8 —11,8
Pommen 157,8 142,7 15,1
Hessen-Nasasasasa 129,7 119, —10,6