VI. Buch. Innere Kolonisation. 43
grundbesitzer in seiner Rolle als Führer und Vorbild des kleineren Besitzers macht uns
auch so bald kein Volk nach und mit ihm steht auf gleicher Stufe der alteingesessene Do-
mänenpächter.“ Man soll nicht unterschätzen, was es heißt, Pächterfamilien, die viel-
leicht seit Zahrhunderten auf der Scholle sitzen, leichtfertig zu beseitigen, ohne einen
entsprechenden Ersatz dafür zu schaffen.
Mehr wie auf einem anderen Gebiet wird es hier gefährlich sein zu schematisieren
und zu schlabonisieren; man soll von Fall zu Fall die Entscheidung treffen. Zu erwägen
dürfte sein, ob in solchen Bezirken, wo ein Ubermaß von befestigtem Besit besteht, viel-
leicht im Wege der Pachtung Abhbilfe geschaffen werden kann.
Biele Tausende von Familien können noch heute auf unseren Mooren und Heiden
mit bestem Erfolge angesetzt werden; es ist zu hoffen, daß auf diesem Gebiet jetzt mit
größeren Mitteln vorgegangen wird, nachdem unser allerhöchster Herr wiederholt in
den Verhandlungen des Deutschen Landwirtschaftsrats dafür eingetreten ist.
Endlich haben wir die Frage zu beantworten:
Wie sollen wir kolonisieren? Die erste Be-
dingung ist die, daß wir im Gegensatz zum Güterschlächter nur Kolonisten ansetzen, welche
unter schwierigsten Verhältnissen in der Lage sind, sich unbedingt zu behaupten. Es
ist sehr gefährlich, wenn man sich in einer Zeit günstiger Konjunktur, wie wir sie in den
letzten Jahren hatten, in Landwirtschafts- und Verwaltungskreisen dem Wahne bin-
gibt, daß wir nun niemals wieder Zeiten wirtschaftlichen Kückganges in der Landwirt-
schaft erleben könnten. Es kann das zu den größten Enttäuschungen, zu den schwersten
wirtschaftlichen und sozialen Kalamitäten führen. Darum erscheint es in hohem Maße
bedenklich und hier liegt der Kernpunkt, weshalb immer wieder auf den Staat als Träger
des ganzen Kolonisationswesens hingewiesen werden muß, wenn man den Kolonisten
ihre Grundstücke zu teuer Überweisen wollte, namentlich bei der Moorkolonisation würde
das in ganz besonderem Maße gefährlich sein. Bei den ersten Beratungen, welche über
die Besiedlung der westdeutschen Hochmoore in der Zentralmoorkommission stattfanden,
erklärte der damalige Landwirtschaftsminister, Freiherr von Lucius: „Wenn der Preu-
ßische Staat für die Millionen, die er in die Moore hineinsteckt, auch keinen Pfennig Zinsen
bekäme, so würde er doch ein glänzendes Geschäft machen durch die Zunahme an Steuer-
und Wehrkraft.“ Das ist der große Gesichtspunkt, nach dem der Staat auf diesem Gebiet
zu arbeiten hat.
Oie Entwicklung der wirtschaftlichen Verhältnisse hat inzwischen uns zu der Erkenntnis
gebracht, daß es nicht nur darauf ankommt, neue Flächen zu besiedeln, sondern auch die
Besitzer, welche wir ansiedeln, in ihrem Besitz so zu befestigen, daß sie alle Kalamitäten
Überstehen können. Auch hierbei aber ist es dringend notwendig, nicht einseitig vorzu-
gehen und nicht nur an die neuangesetzten Kolonisten zu denken, sondern vor allen Dingen
auch diejenigen Besitzer im Auge zu behalten, welche wir schon haben und auch ihnen
dieselben Wohltaten zufließen zu lassen, wie den Neuangesetzten. Die Vorteile der
Mittelstandskasse und der Bauernbank sollten nicht nur dem neuen Kolonisten, nicht
nur den national gefährdeten Provinzen, sondern im ganzen Lande allen Besitzern
Wie sollen wir kolonisieren?
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