Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
4 Innere Kolonisation. VI. Buch. 
  
dienstbar gemacht werden. Es ist nicht unbedenklich, wenn vielfach die Generalkommissionen 
das Bestreben haben, für ihre neuen Ansiedler eine Extrawurst zu braten. Man soll sich 
hüten, Staatspensionäre auch nur im kleinsten Maße zu schaffen; man soll alle Besitzer 
gleichmäßig behandeln. Von ganz besonderer Bedeutung auf diesem Gebiet werden 
auch die Kappschen Vorschläge bezüglich der Lebensversicherung und der festen Kredite 
werden; auch sie haben dasselbe Ziel, den Besitz zu befestigen. 
Oie wichtigste Frage für die Ezistenz unseres gesamten Grundbesitzes aber, des 
alten und des neuen, wird die sein, daß wir in Deutschland eine Wirtschaftspolitik 
behalten, welche uns unabhängig macht von der Konkurrenz des Auslandes, solange 
uns dieses übermächtig gegenübersteht. Eine Wirtschaftspolitik, welche in die alten 
Caprivischen Bahnen zurückfiele, wäre der Tod der inneren Kolonisation in unserem 
Baterlande. "„ 
Neben den staatlichen Organen haben wir für die Durchführung des Kolonisations- 
werkes heute eine Reihe gemeinnütziger Gesellschaften. #uch sie haben Gutes geleistet, 
aber die Aufgaben, welche uns auf diesem Gebiete noch bevorstehen, sind so gewaltiger 
Art, daß ich immer noch Bedenken trage, ob diese Gesellschaften in der Lage sein werden, 
dieselben durchzuführen. Gewiß ist heute die staatliche Maschine zu schwerfällig, um der- 
artige Arbeiten durchzuführen, aber ebenso gut, wie es Friedrich der Große verstanden 
hat, die Männer herauszufinden, welche besonders geeignet waren, nach seinen Plänen 
zu arbeiten, und wie er diesen Männern auch eine weitgehende Selbständigkeit gegeben 
hat, so könnten wir uns heute auch noch Einrichtungen verschaffen, welche zu einer freien 
Bewegung der Leiter der Kolonisation führten. Ich habe oft den Wunsch ausgesprochen, 
man möge aus den Generalkommissionen besondere Landeskulturbehörden 
bilden, besetzt mit den tüchtigsten Männern aus Verwaltungs- und Laienkreisen oder man 
möge die ganze Arbeit den Provinzialverwaltungen überweisen, in welchen die sach- 
verständige Stelle des Bezirks gegeben ist. Wir haben diese Forderung nicht durchsetzen 
können. Ich erkenne trotzdem an, daß wir vorwärtskommen, aber ich fürchte bei alle- 
dem, daß auf die Dauer die jetzigen gemeinnützigen Gesellschaften doch versagen werden. 
Bei der dringend notwendigen Reform der Schul- und Kommunallasten z. B. kann nur 
der Staat helfen. 
Ein bedenklicher Mangel, welcher namentlich in dem 
national gefährdeten Osten hervortritt, ist es, daß wir 
zurzeit bei der inneren Kolonisation nur an die Landwirtschaft denken. Das Beispiel, 
welches uns die großen Kolonisatoren aus dem Hohenzollernhause gegeben haben, sollte 
auch heute wieder zur Nachahmung auffordern. A#uch heute müssen wir neben den 
Landwirten in den kleineren Städten Handwerker und Gewerbetreibende 
ansetzen, sie in ihrem Gewerbe fördern und somit auch in den Städten den selbstständigen 
Mittelstand erhalten, der an seinem Hause und an seiner Werkstatt ebenso hängt, wie der 
Bauer an seiner Scholle. Wenn heute vielfach in den Kreisen unserer Nationalökonomen 
behauptet wird, die Zeit des Handwerks sei vorbei, so beweisen die Tatsachen das Gegen- 
teil. Wir haben auch heute noch Handwerker, welche ohne jede Unterstützung von irgend- 
Handwerkeransiedlung. 
  
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