VI. Buch. Innere Kolonisation. 4
einer Seite verstehen, sich technisch und kaufmännisch vorwärtszubringen, welche damit
den Beweis liefern, daß das Handwerk auch heute noch imstande ist, mit der Industrie
zu konkurrieren. Es wird dringend notwendig sein, auch diesem Teil der inneren Kolo--
nisation besondere Aufmerksamkeit zu widmen.
Der schwierigste Teil der ganzen Frage ist die Arbeiter-
ansiedlung. Die Versuche, welche auf diesem Gebiet
bisher gemacht worden sind, sind vielfach mißglückt und wenn man bei uns im Osten
die Arbeiter fragt, ob sie lieber Eigentümer werden wollen, so wird man in den meisten
Fällen die Antwort erhalten: „Ich denke nicht daran; wozu soll ich die BVerantwortung
und das größere Risiko übernehmen.“ Unsere Arbeiter sind, wenigstens im Osten, bei
der großen Naturalwirtschaft, welche sie führen, im Grunde nichts anderes als klleine
Besitzer. Worauf es ankommt, das ist, ihnen die sichere Aussicht zu gewähren, auf der
sozialen Stufenleiter allmählich emporsteigen zu können. Auch hierbei darf man nicht
schematisieren, sondern man soll die Versuche ganz nach den Gewohnheiten und Bedürf-
nissen der jeweiligen Bezirke einrichten. Vielleicht würde es das beste sein, die Arbeiter
zunächst nicht zu Eigentümern, sondern zu Pächtern zu machen, wie das in Mecklenburg
mit bestem Erfolge geschehen ist, wo durch Pachtverleihung von Gemeindeland das Be-
dürfnis vielfach gedeckt worden ist. Auch für uns im preußischen Osten würde es von großer
Bedeutung sein, das Heuerlingswesen, wie es in Hannover und Westfalen besteht, gründ-
lich zu studieren. In diesen Landesteilen ist die Seßhaftmachung der alteingesessenen
Arbeiterfamilien geglückt, und es findet dort nicht mehr ein so starker Abstrom vom Lande
statt, wie wir ihn anderwärts beobachten.
Eine wesentliche Förderung des Aufsteigens unserer Landarbeiter verspreche ich mir
von der jetzt vom Bunde der Landwirte ins Leben gerufenen Prämiensparkasse, bei
welcher der Arbeitgeber den Arbeitnehmer seinerseits mit Beiträgen unterstützt und
dem letzteren so die Möglichkeit verschafft, in verhältnismäßig jungen Jahren über ein
größeres Kapital zu verfügen.
Mit besonderem Nachdruck muß noch darauf hingewiesen werden, daß wir zurzeit,
vielleicht aber zum letzten Male, die Möglichkeit haben, Hunderttausende von deut-
schen Rückwanderern aus den alten deutschen Siedlungen in Rußland zu bekommen,
welche sowohl als #rbeiter, wie als Ansiedler für uns von größtem Wert sein können.
Es ist in hohem Maße beklagenswert, daß diese ungufhaltsame Abwanderung zum größten
Teile nicht in das alte Stammland zurückgeht, sondern von einer großen Schiffahrts-
gesellschaft im rein-einseitigen finanziellen Interesse nach Amerika abgeleitet wird.
Nun tritt uns aber bei der gesamten inneren Kolonisation noch eine außerordentlich
schwierige Frage auf finanziellem Gebiet entgegen. Der Kurs unserer Renten-
briefe und Pfandbriefe ist seit Jahren ein derartig kläglicher, die Kursverluste sind
so enorm, daß damit das ganze Werk der inneren Kolonisation in Frage gestellt wird.
Hier dürfte ernstlich zu überlegen sein, ob es denn notwendig ist, daß wir diese Papiere
zu einem Spekulationsobjekt der Börse machen. Wenn die Privatbanken nicht in der
Lage sind, das volkswirtschaftlich Nötige zu leisten auf diesem Gebiet, dann wäre es doch
Arbeiteransiedlung.
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