Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
80 Wasserstraßen und Binnenschiffahrt. VII. Buch. 
  
die letzteren vielfach aus Bestandteilen schiffbarer Ströme bestehen; die Schiffahrts- 
abgaben sind in jedem Falle Produktionskostenbeiträge für Schiffahrtsverbesserungen 
und als solche logisch begründet. 
Finanzpolitische Gründe. In finanzpolitischer Beziehung sprach für Schiff- 
fahrtsabgaben die Erwägung, daß es unbillig wäre, 
die Benutzer der Eisenbahnen mit der Kostendeckung für den Schienenweg zu be- 
lasten, die Benutzer der Wasserstraßen aber von Beiträgen für den Schiffahrtsweg zu 
befreien. Diese Unbilligkeit ist um so größer, als bekanntlich die Eisenbahnfrachten 
— in Preußen wenigstens — nicht nur die Selbstkoftendeckung, sondern darüber hinaus 
große Reineinnahmen für allgemeine Staatszwecke aufbringen. Es kann dem auch 
nicht etwa entgegengehalten werden, daß beide Gruppen von Benutzern staatlicher Ver- 
kehrsanstalten sich im wesentlichen deckten. Eine solche Kongruenz ist auch nicht ent- 
fernt vorhanden; das Wasserstraßennetz — wenn von einem solchen überhaupt gesprochen 
werden kann — ist außerordentlich viel weitmaschiger und viel ungleichmäßiger über 
das Staatsgebiet verteilt als das Schienennetz. Dieser Zustand wird auch in Zukunft 
sich schwerlich ändern, weil die Bodenbeschaffenheit des Landes dem entgegensteht. 
Schließlich darf aber auch das rein finanzielle Moment der Geldbeschaffung für die großen 
Aufgaben, welche hinsichtlich der Entwickelung des deutschen Wasserstraßenspstems noch 
zu lösen und im zweiten Abschnitt dieser Arbeit in den Hauptzügen dargestellt sind, 
vom Standpunkte praktischer Politik nicht übersehen werden. Ze mehr die Steuer- 
kraft des deutschen Bolkes für die großen Macht- und HOaseinszwecke des nationalen 
Staatswesens, für Kulturaufgaben und sonstige allgemeine Ziele in Anspruch genommen 
werden muß, um so weniger wird man darauf verzichten können, die unmittelbaren 
und mittelbaren Benutzer der Wasserstraßen zu Beiträgen für diese Verkehrsanstalten 
heranzuziehen — sofern nur diese Beiträge einen angemessenen Bruchteil des erlangten 
Vorteils nicht übersteigen. Kein Geringerer als der Träger der preußischen Krone hat schon 
im Zahre 1891 bei einem verhältnismäßig unbedeutenden Anlasse darauf hingewiesen, 
daß die große Entwickelung, deren die vaterländischen Wasserstraßen bedürften, ohne Er- 
hebung von Schiffahrtsabgaben nicht ermöglicht werden könne. 
  
Wasserstraßengesetz Diese Gedankengänge haben zunächst in Preußen dazu ge- 
führt, daß in dem Wasserstraßengesetze vom 1. April 1905 die 
Einführung von Schiffahrtsabgaben auf allen im Interesse 
der Schiffahrt verbesserten natürlichen Wasserstraßen angeordnet wurde. Die ent- 
standene Streitfrage, ob diese Gesetzesbestimmung mit Artikel 54 der Reichsverfassung 
vereinbar sei, ist durch das Reichsgesetz vom 24. Dez. 1911 betreffend den Ausbau der 
deutschen Wasserstraßen und die Erhebung von Schiffahrtsabgaben gegenstandslos ge- 
worden. Danach dürfen die Selbstkosten aller Schiffahrtsverbesserungen ohne jeden 
Unterschied zwischen natürlichen und künstlichen Wasserstraßen und Häfen sowie ohne 
Unterschied zwischen See- und Binnenschiffahrt durch Abgaben gedeckt werden; auf 
den bisher abgabenfreien Wasserstraßen jedoch nur insoweit, als es sich um solche 
  
in Preußen. 
  
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