Die Seeschiffahrt
Von Ph. Heineken, Generaldirektor des Norddeutschen Lloyd in Bremen
Wenn wir heute zurückblicken auf die wirtschaftlichen und poli-
tischen Verhältnisse, unter denen sich der gewaltige Aufschwung
des Verkehrs zu Lande und zu Wasser vollzog, so erkennen wir, daß in den
fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts sich die neue Tra anbahnte, daß die
ersten zwanzig Jahre den Auftakt bildeten und dann nach dem glorreichen Kriege
von 1870/71 das deutsche Wirtschafts- und Verkehrsleben zu ungeahnter
Entfaltung gelangte. Deutschland, in den siebziger Jahren noch ein Agrarstaat, der
an seine Nachbarländer Getreide exportierte, entwickelte sich infolge seiner rapiden Be-
völkerungszunahme zu einem Industriestaat und wurde mit fremden Völkern immer
enger verbunden. Für seine Industrieerzeugnisse tauschte er Agrarprodukte ein, seine
Handelsbilanz nahm, wie bei allen an Wohlstand gewinnenden Völkern, passiven Charakter
an und wurde durch eine aktive Zahlungsbilanz ergänzt. Der deutschen Schiffahrt
gebührt in diesem Zusammenhange ein doppeltes Berdienst. Mit klarem Blick hatten die
deutschen Reeder die Entwickelung des deutschen Wirtschaftslebens vorausgesehen und
durch Vergrößerung ihrer Flotten dafür gesorgt, daß der steigende Verkehr in deutschen
Häfen zum weitaus überwiegenden Teile von deutschen Schiffen bewältigt wurde.
Doch hiermit ist ihr Verdienst für die Außenbeziehungen Deutschlands nicht erschöpft.
Dasich die deutschen Schiffe bald unter allen Schiffen auf dem Weltmeere auszeichneten,
so wurden sie auch gern von anderen Völkern benutzt und haben auf diese Weise
nicht unerheblich dazu beigetragen, die Aktioität der deutschen Zahlungsbilanz zu
erhöhen.
Solange Deutschland zersplittert war und der deutsche Unternehmungsgeist
im Auslande nicht auf einen starken Schutt seitens des Reiches rechnen konnte, war es
nur natürlich, daß deutsche Erzeugnisse nur in verhältnismäßig geringem Umfange direkt
an den Abnehmer im überseeischen Auslande gelangten, und daß namentlich England,
dem eine ausreichende Macht zur Wahrung seiner Interessen im überseeischen Aus-
lande zu Gebote stand, hieraus ARutzen für sich ziehen konnte, indem es als Vermittler
zwischen dem deutschen Fabrikanten und dem Abnehmer im Ausland stand. Erst in den
achtziger JZahren trat hierin ein Umschwung ein, als die Reichsregierung sich entschloß,
die deutschen überseeischen Handelsinteressen nachdrücklich zu fördern und zunächst durch
die Errichtung von Reichspostdampferlinien nach dem fernen Osten und Australien dem
dbeutschen Handel die Wege nach diesen Ländern zu ebnen. Diese Politik, die in Bismarck
Rückblick.
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