Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
92 Die Seeschiffahrt. VIlI. Buch. 
  
wiederum am Anfange einer neuen Epoche der Entwicklung. Der Dampfkraft hat 
sich die motorische Kraft hinzugesellt und, wenn wir auch heute noch nicht mit Sicherheit 
sagen können, welche Aufgaben der Motor für die Zukunft zu erfüllen berufen sein wird, 
so läßt sich doch bei weiterem Fortschreiten der technischen Wissenschaften von ihm zweifel- 
los auch für die Schiffahrt noch großes erwarten. 
Der Bau von Movtorschiffen hat in den letzten Jahren außerordentlich schnell 
zugenommen. Nach einem Vortrage, den Professor Laas-Charlottenburg im Juni d. Zs. 
auf der Jahresversammlung der Seeberufsgenossenschaft in Aachen gehalten hat, sind 
abgesehen von einer großen Zahl von Motorbooten, Unterseebooten, Küsten- und Fluß- 
schiffen (insbesondere auf der Wolga) in den Jahren 1908—1911 je 1—5 Motorschiffe 
für den Seeverkehr gebaut worden, 1912 aber schon 12 Schiffe mit ca. 17 000 Pferde- 
stärken, 1913 sind bis zum 1. Zuni 5 weitere Seeschiffe mit 9000 Pferdestärken in Fahrt 
gekommen, während noch 37 derartige Schiffe mit über 80 000 Pferdestärken in Bau 
sind; hierbei sind mur die nach dem Dieselsystem arbeitenden Motoren gerechnet, die nach 
Ansicht von Professor Laas allein Aussicht auf weitere Verbreitung in der großen 
Schiffahrt haben. 
Trotz der kräftigen äußeren Entwicklung kann man jedoch noch nicht von einer 
endgültigen Lösung des Problems sprechen, da sich an den in Fahrt befindlichen Schiffen 
eine Reihe von Störungen technischer und wirtschaftlicher Natur gezeigt haben, die das 
Vertrauen der Reedereien auf die neue Antriebsart schwächen mußten. An technischen 
Störungen sind kleinere und größere Havarien an den Hauptmotoren oder den Hilfs- 
maschinen aufgetreten, die allerdings zum großen Teil als Kinderkrankheiten angesehen 
werden können, wie sie bei jeder bedeutenden technischen Neuerung überwunden 
werden müssen. 
Das Haupthemmnis der Entwicklung in dieser Richtung bilden aber, augenblicklich 
wenigstens, für die Zentrale der Weltschiffahrt, für Westeuropa, die hohen Olpreise, die 
zum Teil ihren Grund haben in der starken Steigerung der Nachfrage durch den Olbedarf 
der Landmotoren, dazu kommt für Europa eine außergewöhnliche Steigerung der Fracht- 
raten für das von Amerika kommende Ol, die gleichfalls eine Folge der starken Nachfrage 
sind, da die bisherigen Tankschiffe für den Transport des Ols über See nicht ausreichten. 
Im letzten Zahr sind jedoch über 100 Tankschiffe zur Beförderung von Ol gebaut oder in 
Auftrag gegeben; die Frachtraten können daher bald wieder normal werden, so daß zu 
erwarten steht, daß dann der Bau von Schiffsölmotoren von neuem kräftig einsetzen 
wird, zumal auch eine große Zahl der neuen Tankschiffe selbst Olmotoren zum Antrieb 
der Propeller erhalten und somit zur Einführung derselben in die Schiffahrt wesentlich 
beitragen. Das Hauptprinzip des Olbetriebes, die direkte Einspritzung des Brennstoffes 
in die Maschine, hat sich in seiner Anwendung auf Schiffen bereits voll bewährt. Der Bau 
von Olmotoren für die Schiffahrt wird unter der geistigen Führung Deutschlands fast 
ausschließlich in Europa betrieben und zwar an nicht weniger als 52 Stellen. Hieran sind 
Holland, Schweiz, Dänemark, Schweden mit je einer bekannten großen Firma be- 
teiligt, Belgien mit zwei, Italien mit drei, Österreich- Ungarn mit vier, Frankreich 
und Rußland mit je fünf und England mit acht Firmen, Deutschland aber mit der weit- 
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