VIII. Buch. Die evangelische Kirche und Theologie. 13
lischen Kirchenkörper, an einer stärkeren Zusammenfassung des kirchlichen Pro-
testantismus, und er tut das nicht aus irgendwelchen politisch bestimmten Macht- und
Zentralisationsgelüsten, Uniformitätsbestrebungen, Mivellierungsabsichten, sondern aus
dem wohlverstandenen und wohlverständlichen innersten Interesse der evangelischen
Kirche, in dem Bewußtsein, daß eine freie Zusammenfassung und gemeinsame Vertre-
tung des Protestantismus für die Zukunft eine Lebensfrage der deutschen reformato-
rischen Kirchen ist. An eine zentralistische Regelung der Bekenntnisfrage denkt niemand
und kann niemand denken. HDabei handelt es sich um Entscheidungen, die nur in den
einzelnen Kirchen getroffen werden können. Wir werden gleich sehen, wie die Dinge
in dieser Beziehung kompliziert liegen. Worum ee sich im Gesamtinteresse des evangelischen
Kirchentums Deutschlands allerdings handelt, ja in allererster Linie handelt, ist, ob es
gelingt, dem trotz aller Bekenntnisdifferenzen im deutschen kirchlichen Protestantismus noch
vorhandenen evangelischen Gemeingeist einen Körper zu schaffen, eine Organisation,
ein Betätigungefeld, eine Möglichkeit zu leben, zu erstarken, seine Kraft zu entfalten,
seine Aufgabe an unserem Volke zu erfüllen. Das ist es, was unzähliche Freunde der
Keformationskirche heiß ersehnen, wofür sie arbeiten und kämpfen. Es handelt sich darum,
den inneren Gegensätzen im Protestantismus ein Gegengewicht zu schaffen, damit seine
Aktionskraft gegenüber den destruktiven Zeitmächten und der katholischen Machter-
weiterung nicht neutralisiert werde. Was in Verfolg dieser Ziele von dem Witten-
berger Kirchentag (1848) und der Gründung der „Eisenacher Konferenz deutscher
evangelischer Kirchenregierungen"“ bis zum „Deutschen evangelischen
Kirchenausschuß“ auf preußische Anregung hin geschehen ist, sind zwar bis jetzt
nur Anfänge, aber doch wichtige Etappen auf dem Wege zu einer das gesamte evan-
gelische Deutschland umfassenden freien kirchlichen Konföderation.
Abschwächung des Gegen- Gewiß begegnet man in konfessionellen Kreisen
auch diesen Bestrebungen noch mit Mißtrauen.
Das ist bei der Gründung des Kirchenaus-
schusses sehr deutlich geworden. Aber dieses Mißtrauen beginnt, wenigstens in den
maßgebenden Kreisen, zu weichen. Seitdem dieser gegen die Bekenntnisunterschiede
neutrale freie Konförderationsgedanke vordringt, tritt die Furcht vor der Union
zurück und damit der Gegensatz gegen sie.
Andererseits haben sich nachgerade auch die überzeugtesten Lutheraner — ausge-
nommen bleiben freilich die Männer des „Lutherischen Bundes“ — durch die Tatsache
davon überzeugen lassen, daß unser kirchliches Leben durch schlimmere Feinde bedroht
wird, als die „Union“. Bereits der erste Abschnitt dieser Abhandlung hat gezeigt, daß
das „Grundübel“ unseres Kirchentums ganz wo anders zu suchen ist als in der Union der
lutherischen und reformierten Bekenntnisse. Erst recht wird ein Blick in die inneren Zu-
stände unserer Kirchen beweisen, daß ganz andere Fragen als die Unionsfrage den Be-
stand der evangelischen Kirche bedrohen. Die Unionsfrage ist tatsächlich durch die innere
Entwicklung des Lebens der Kirche überholt. Das führt uns zu dem eigentlichen Thema
dieses Abschnittes: der innerkirchlichen Krisis.
satzes gegen die Union.
981