16 Die evangelische Kirche und Cheologie. VIII. Buch.
Fakultäten hat jener Prozeß begonnen, der jenes Ergebnis hatte. DOie theologische
Entwicklung aber steht wiederum in Verbindung mit dem neuzeitlichen Fortschritt des
allgemeinen kulturellen und geistigen Lebens, das bereits charakterisiert ist. Dieselben
Kräfte, welche die allgemeine Unkirchlichkeit erzeugt haben, waren es, die in die theo-
logische Arbeit hineinwirkten und somit nicht nur von außen, sondern auch von innen
ber den Bestand der Kirche im überlieferten Sinne bedrohten.
Im 17. Jahrhundert sperrte die kirchliche Theologie sich gegen das neu aufstrebende
Geistesleben ab. Dadurch gelang es ihr, die Bekenntnis- und Lehreinheit, auf der die
Kirchen beruhten, unangefochten über hundert Jahre zu erhalten.
Als sich dann im 18. Jahrhundert die Absperrung nicht mehr durchführen ließ,
auf der die geistige Einheit der altprotestantischen Kirche beruhte, erlag diese sogenannte
orthodoze Theologie völlig dem Ansturm des mächtig erstarkten neuen Geisteslebens,
mit dem sie sich rechtzeitig auseinanderzusetzen versäumt hatte. Bereits im 18. Jahr-
hundert erlebte die evangelische Kirche eine weitgehende Auflösung ihrer Bekenntnis-
einheit.
Kirchliche Restauration In der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts erfuhren die
im 19. Fahrhundert. durch die Aufklärung so gut wie neutralisierten Bekennt-
nisse, bis zu einem hohen Grade sogar die altorthodoxe
Tpeclogie, eine Restauration. Sie stützte sich auf sehr verschiedenartige und verschieden-
wertige Faktoren, auf altgläubige Elemente, die auch in der Aufklärung nicht ausgestorben
waren, auf die Erweckungsbewegung der Befreiungskriege, auf alte und neue pietistische
Kreise, aber auch auf ihr günstigen äußeren Machtverhältnisse und reaktionäre politische
Instanzen. Die Bekenntniskirchen wurden überall durch bedeutende Kirchenmänner
meist unter staatlicher Mithilfe wieder hergestellt, der Bekenntnisgedanke stramm durch-
geführt. Zn dieser Restauration steckte zweifellos eine religiöse Kraft, die durch das ganze
Zahrhundert auf allen Gebieten des kirchlichen Lebens segensreich fortgewirkt hat und
vor allem auch in der äußeren und inneren Mission wirksam geworden ist. Sie erwies
sich als der Aufklärung und dem Nationalismus religiös und kirchlich überlegen. Von
ihr zehrt unser Kirchentum noch heute. Es war trotz aller Engigkeit und Unfreiheit etwas
Charaktervolles und Produktives in dieser Neu-Orthodoz-ie. Kirchenmänner, wie
Hengstenberg, Stahl, Harleß, Kliefoth, Bilmar u.., Prediger wie Ludwig Harms, Löhe,
Petri, Münkel und Ahlfeld, Theologen wie Kahnis, Luthardt, Oelitzsch, Zezschwitz u. a.
gehörten zu den bedeutendsten Erscheinungen der neuesten Kirchengeschichte und ge-
wannen einen außerordentlichen Einfluß auf Landesherren, Staatsmänner, Ministerien,
Adel und die gläubigen Kreise ihrer Zeit. Sie erzeugten eine kräftige Kirchlichkeit,
welche gewiß einer tieferen religiösen Begründung nicht entbehrt.
Sgnorierung des neuen Geistes- Und doch trug diese neuorthodoxe Kirchlich-
. keit zu viel des Rückständigen in sich, um
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ebens durch die Neu-Orthodoxie sich im modernen Leben durchzusetzen oder
überhaupt nur in umfassender Weise alle religiös Lebendigen an sich zu ziehen.
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