VIII. Buch. Die evangelische Kirche und Theologie. 25
II.
Die theologische Lage der Gegenwart.
Im vorigen Abschnitt ist die in das Leben der Kirche
tief einschneidende Bedeutung der theologischen
Wissenschaft und ihrer Entwicklung im 19. Jahrhundert im allgemeinen bereits hervor-
gehoben. Nunmehr werfen wir einen Blick auf ihre jüngsten Wandlungen und ihren
gegenwärtigen Stand, nicht um eine Übersicht über die Fortschritte im einzelnen zu
geben, sondern um den Gesamtfortschritt und das Charakteristische in ihm in seiner Be-
deutung für Wissenschaft und Kirche zu verstehen und zu würdigen.
Bedbeutung der Theologie.
umschwunz in der Würdigung der m August des Jahres 1911 veröffentlichten
die Rektoren der preußischen Universi-
Theol
beologischen Fakultäten. täten eine Erklärung, in der sie im Hinblick
auf die damals geplante Frankfurter Universitätsgründung vor der Ausschaltung der theo-
logischen Fakultät warnten. In den theologischen Fakultäten werde eine unentbehrliche
wissenschaftliche Forscherarbeit getan. Inzwischen ist es nötig geworden, auch der Ham-
burgischen Universitätsvorlage gegenüber, auf diese Erklärung hinzuweisen. Bedeutende
Gelehrte aller Fakultäten wenden sich augenblicklich gegen theologielose Universitäts-
projekte. Vergleicht man mit diesen Stimmen die Stimmung, die etwa in den sieben-
ziger Zahren des vorigen Zahrhunderts gegenüber den theologischen Fakultäten herrschte,
so findet man in diesem Stimmungswechsel eine Wendung ausgedrückt, die immer
mehr die Theologie in ihrem ganzen Umfang und in allen ihren Richtungen ergriffen
hat, die Wendung zur universellen Wissenschaftlichkeit.
Kulturelle Tendenz der En thrnooiso — h n
erster Linie als kir e ungsanstalten un
teologischen Wissenschaft. darum als Fremdkörper innerhalb der Universi-
tas literarum empfunden; sie sind eingetreten in die umfassende Wechselwirkung der
Wissenschaften und werden als Mitarbeiter an den gemeinsamen Aufgaben der Wissen-
schaft als solchen längst auch von denen begrüßt, welche ihrem besonderen kirchlichen
Beruf fremd gegenüber stehen. Nur einige statt vieler Hinweise auf äußere Belege
dieser Wandlung; die letzten Jahrzehnte haben unseren bedeutenden Theologen auf-
fallend viele Ehrendoktorate von allen möglichen Fakultäten und Universitäten, und
nicht weniger Ehrenmitgliedschaften und Mitgliedschaften der wissenschaftlichen Aka-
demien des In- und Auslandes eingetragen; vor einigen Jahren erhielt Albert Hauck
einen Ruf auf den einstigen Lehrstuhl seines Lehrers und Meisters Leopold von Nanke
in Berlin, und auch sonst sind ähnliche Berufungen namhafter Theologen aus philo-
sophischen Fakultäten ergangen oder geplant worden; Adolf Harnark ist nicht nur
Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, sondern auch Sekretär und der Geschichts-
schreiber der kgl. preußischen Akademie der Wissenschaft. Werke wie Haucks Kirchen-
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