Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
VIII. Buch. Die evangelische Kirche und Theologie. 4 
  
denen nur auf apologetischem Wege beizukommen ist, und es ist zweifellos, daß viele 
auf dem Umweg über die Apologetik wieder den Weg zum Evangelium und zur Kirche 
gefunden haben. Noch niemals hat die evangelische Kirche in Deutschland eine derartige 
apologetische TDra erlebt wie in dem letzten halben Menschenalter. In die kirchliche 
Arbeit ist dadurch ein neues geistiges Element, ein neues Kraftbewußtsein, 
ein neues Moment von Zeitgemäß bheit hineingekommen, das sich so leicht nicht 
wieder verlieren wird. Uberhaupt hängt die apologetische Bewegung innerlich mit der 
neuen Wendung zur Religion zusammen. Sie war nicht ohne den Optimismus mög- 
lich, dem die Zukunft gehört. 
Außere Mission. Zummindesten gleichen Schritt mit der Entwicklung der Inneren 
hat die der Zußeren Mission gehalten. Bergegenwärtigt man 
sich, mit welchen Schwierigkeiten der Missionsgedanke bis über die Mitte des 19. Jahr-- 
hunderts hinein noch bei kirchlichen Kreisen, bis in die jüngste Zeit hinein bei der öffent- 
lichen Meinung zu kämpfen gehabt hat, so staunt man über das Erreichte und mehr 
noch über das im Werden Begriffene. Zwar wird die Missionsarbeit der deutschen 
evangelischen Kirche noch auf lange hinaus einen Vergleich mit der englisch- ameri- 
kanischen nicht aushalten können. Das liegt nicht nur an den ungünstigen kirchlichen 
Bedingungen, unter denen bei uns von alters her die Mission gearbeitet hat, sondern 
vor allem daran, daß Deutschland bislang nicht im entferntesten die politische und 
kulturelle Überseeische Einflußsphäre besitzt, geschweige besessen hat, wie jene Länder. 
Denn ohne Zweifel hängt der enorme Aufschwung der Mission auf das engste mit dem 
modernen Weltverkehr zusammen. Seitdem das Deutsche Reich Kolonien erworben 
hat, Weltpolitik treibt, der deutsche Handel zum Welthandel geworden ist, ist die deutsche 
evangelische Mission in das Stadium eingetreten, in welchem die englisch-amerikanische 
Mission schon länger steht: der Entwicklung zur Weltmission. Has zeigt sich nicht 
Zunahme des PP an "n * Erweiterung borer essener. 
gebiete auf allen Erdteilen, sondern auch an der auffallen- 
Willionsinteresles. den Zunahme des Missionsinteresses in der Heimat. 
Während noch bis vor kurzer Zeit in Deutschland die öffentliche Meinung, allerdings 
zum Teil unter dem Eindruck der bekannten fälschlichen Beschuldigungen unserer 
Missionen gelegentlich der chinesischen Wirren und des Hererokrieges, zum Teil infolge 
der eingewurzelten Unwissenheit und Gleichgültigkeit unserer gebildeten Kreise in 
Missionsangelegenheiten, eine durchaus kühle und ablehnende Haltung gegenüber 
den Aufgaben der Heidenmissionen einnahm, so daß das ganze Werk eigentlich von 
dem Interesse einzelner lleiner Kreise getragen wurde, hat sich hierin neuerdings ein 
Umschwung vollzogen, welcher beginnnt, den deutschen Missionen endlich aus ihrer 
beschränkten Lage herauszuhelfen und sie für ihre Weltaufgabe, die sie gemeinsam 
mit den übrigen Missionen hat, flott zu machen. Zu dieser Wendung, die in der Zubi- 
läumsspende für den Kaiser zum Ausdruck kam, haben verschiedene Umstände und Fak- 
toren beigetragen. In erster Linie auch der geistige Einfluß der englisch-amerikanischen 
Missionsbewegung, der besonders in dem Laienmissionsbund und dem Studentenmissions- 
  
  
  
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