Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
VIII. Buch. Die evangelische Kirche und Cheologie. 53 
  
Arbeit an Zusammenfassung Andererseits ist seit der Einführung der Union, 
des Protestantismus. unter der Führung der Hohenzollern, 
besonders aber unter der Regierung unfres Kaisers 
unermühdlich an einer stärkeren Zusammenfassung der deutschen evange- 
lischen Landeskirchen gearbeitet worden. Trotzdem bleibt das bisher Erreichte 
noch weit hinter dem zur Notwendigkeit Gewordenen zurück. Wer ein offenes Auge 
für die Kirchengeschichte des 19. Jahrhunderts hat, kann ja nicht verkennen, dahß, 
während das kirchliche Leben innerhalb der Einzelgemeinden und Einzelkirchen überall 
vom Niedergang bedroht war, das Arbeitsleben der äußerlich unsichtbaren evangelischen 
Gesamtlirche einen wichtigen Aufschwung nahm. JZa, man muß sagen, daß es ohne 
die Rückwirkung dieses erweiterten Lebens geradezu hoffnungslos in unseren Gemeinden 
und Landeskirchen aussehen würde. Das Gesamtleben, das sich in der evangelischen 
Kirche entwickelte, hat das Landeskirchentum vor der gänzlichen Stagnation und 
Auflösung bewahrt. Die Innere und TZußere Mission, der Gustav-Adolf-Verein und 
Evangelische Bund, die Apologetik und Evangelisation haben immer wieder das inner- 
kirchliche Leben vor der Lethargie bewahrt. In diesen großen Arbeitsgemein- 
schaften hat geradezu die Schwerkraft des evangelisch-kirchlichen Lebens 
im 19. JLahrhundert beruht. Has ist in dem letzten Menschenalter noch viel stärker 
hervorgetreten. Die Tatsachen haben den Einigungsbestrebungen der Hohenzollern und 
insbesondere unfres Kaisers recht gegeben. Die landeskirchliche Entwicklung weist in diese 
Richtung, daß die Einzelgemeinden und kirchen zu ihrem Gedeihen notwendig des 
Kückhalts und der Stärkung und Anregung bedürfen, welche ihnen aus der Zusammen- 
fassung zu einem großen Ganzen erwächst. 
  
  
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Staat und Kirche. derselben unberührt lassen muß, darüber wird kein 
Streit sein können. Das Beispiel der Reichsverfassung zeigt auch für die kirchliche 
Einigung die unübersteigliche Grenze. Uniformierung kann nicht das Ziel sein. Dank 
solcher Erweiterung des evangelischen Kirchenwesens würde ganz von selbst ein neues 
freies Verhältnis von Kirche und Staat angebahnt. Das zeigt sich schon jetzt 
z. B. dort, wo der Staat sich zur Durchführung des Fürsorgegesetzes der Anstalten der 
Inneren Mission bedient. Unser Staatsleben steht trotz seiner offiziellen Ablösung von der 
Kirche und seinem formell paritätischen Charakter doch viel zu sehr unter dem Einfluß 
christlich-ethischer Gedanken, als daß er an den umfassenden Aufgaben, an welchen unsere 
kirchliche Arbeitsgemeinschaften arbeiten, völlig uninteressiert bleiben könnte. Es kann dem 
Staat nicht entgehen, in welchem Maße z. B. die Innere Mission seinen sozial-ethischen 
Bestrebungen, die Tußere Mission der Arbeit an den Kolonien, der Gustav-Adolf-Verein 
der Pflege des ausländischen Deutschtums usw. dient. Dagegen kann er unmöglich auf 
die Dauer gleichgültig bleiben. Die Folge würde eine immer mehr sich entwickelnde 
Solidarität staatlicher und kirchlicher Arbeit sein. Auf diesem Wege würde an die Stelle 
der immer wiederholten Versuche der Kirche, äußeren Einfluß auf den Staat zu gewin- 
  
  
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