Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Dritter Band. (3)

  
VIII. Buch. Die katholische Kirche. 50 
Eingreifen Wilhelms I. So schmerzlich nun auch das gesamte deutsche Volk 
den Hingang des greisen Kaisers beklagen mochte; 
so niederschmetternd auch das tragische Geschick seines ihm so bald im Tode folgenden 
Sohnes, an dessen Heldengestalt sich so frohe Hoffnungen geknüpft hatten, das 
schwergeprüfte Reich treffen mochte: für die Aufgabe, wie sie auf kirchenpolitischem 
Gebiete des neuen Herrschers harrte, war eine jugendliche, ihrer Kraft und der 
Zeit vertrauende Persönlichkeit, die noch nicht durch zuviele bittere Erfahrungen 
um ihren tatenfrohen Optimismus gebracht war, ganz hervorragend geeignet. In wie 
glänzender Weise der dritte Kaiser diese in ihn gesetzten Hoffnungen nicht nur erfüllt, 
sondern in mehr als einer Hinsicht aufs erfreulichste übertroffen hat, das kann heute umso 
eher ohne jeden Byzantinismus festgestellt werden, als es längst nicht nur durch die deut- 
schen Katholiken, sondern auch durch viele andere, die für die religiöse Frage Herz und 
Verständnis haben, mit innigem Danke anerkannt ist. Wie Wilhelm ll. die bei seinem 
Regierungsantritte größte vom Ausland drohende Gefahr dadurch beschwor, daß er 
dem Kaiser von Rußland als erstem, vor allen ausländischen und inländischen Herrschern, 
seinen Besuch machte, so fand er auch die richtigen Worte und Taten, um den seit andert- 
halb Jahrzehnten alle inneren Verhältnisse vergiftenden Unfrieden zu überwinden. In 
der sehr freundlich gehaltenen Antwort auf die erwähnte bischöfliche Adresse erklärte 
der Monarch (7. November 1888): „Mein Leben und Meine Kraft gehören Meinem 
Volke, dessen Wohlfahrt zu fördern die schönste Aufgabe Meines königlichen Berufes 
ist. Daß Ich die Glaubensfreiheit Meiner katholischen Untertanen durch Recht und Gesetz 
gesichert weiß, stärkt Meine Zuversicht auf dauernde Erhaltung des kirchlichen Friedens.“ 
  
Militärfreiheit der kath. Theologen. Diese gesetzlichen Grundlagen des Frie- 
dens zu festigen und zu erweitern war 
seitdem des Kaisers ebenso eifriges wie erfolgreiches Bestreben. Vielleicht kein anderes 
Gesetz hat ihm so viel begeisterte und dankbare Sympathien im katholischen Volke ver- 
schafft, wie jenes, das bald nach Antritt seiner Regierung die Befreiung der katholischen 
Geistlichen vom aktiven Militärdienst verfügte. Daß ein protestantischer Herrscher, dem 
zudem der Ruf kriegerischer Gesinnung vorausgegangen war, für die Zdee des katholischen 
Priestertums ein so zartes Verständnis zeige, diese Verbindung von Starkem und Mildem 
war eine freudige Uberraschung für weite Kreise. Nicht als ob die jungen katholischen 
Tpeologen ihr „freiwilliges“ Jahr „unfreiwillig“ gedient hätten; wer Gelegenheit hatte, 
sie in und außer dem Dienste zu beobachten, der konnte sich überzeugen, daß sie mit nicht 
weniger Ehre und Stolz des Königs Rock getragen, als Studierende anderer Fakultäten, 
und anerkennende Urteile von Offizieren hörte man über sie so gut wie über andere. 
Aber man muß es miterlebt haben, wie die Aushebung der bis dahin zum Dienst mit 
der Waffe nicht herangezogenen Kandidaten des Priestertums von dem einfachen Volke 
hier mit Schmerz, dort mit lauter Entrüstung aufsgenommen und als Spmptom eines 
völlig unchristlichen Geistes verabscheut wurde. War es ja nicht nur ein Grundsatz des 
alten Kirchenrechts, daß der christliche Priester kein Blut vergießen dürfe und daß, wer 
dies getan, ohne Dispens nicht in den geistlichen Stand eintreten könne. Das Volk, 
  
65* 1027
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.