60 Die katholische Kirche. VIII. Buch.
das vielleicht zumeist von dieser Bestimmung gar nichts wußte, hatte es doch auch seiner-
seits als Biderspruch mit der Zdee des Priesters empfunden, daß ein solcher mit der Waffe
in der Hand seinem Nebenmenschen entgegentrete und ihn eventuell niederschieße.
Wird ja schon die Beteiligung eines Geistlichen an der Jagd selten ohne Argernis gesehen.
Gewiß ist es ein schöner, idealer Gedanke, fürs Vaterland zu kämpfen und zu sterben,
und auch der Katholik wird der Weigerung der protestantischen Theologen, sich vom Militär-
dienst befreien zu lassen, seine hohe Achtung nicht versagen. Aber man sollte anderer-
seits auch nicht leugnen, daß es eine schöne, echt christliche Zdee ist, der Priester solle nur
ein Apostel des Friedens sein. Daß der Dienst mit der Waffe nicht der einzige ist, den
der Geistliche im Kriege dem Vaterlande leisten kann, das zeigt die erfreuliche Wahr-
nehmung, wie gerne katholische Theologen sich nicht nur der Militärseelsorge zuwenden,
sondern namentlich auch an der Ausbildung für Krankenpflege sich beteiligen. Was
durch das Gesetz an Zahl der Kämpfer verloren geht, kommt auf diese Weise wieder
herein und wird reichlich ausgewogen durch die Begeisterung, einem Vaterland zu dienen,
das wie den materiellen, so den höheren Interessen seiner Bürger Rücksicht zu tragen
weiß — eine Begeisterung, die auch dem aktiven Kämpfer mitgeteilt wird. Und wenn
vollends mit der Zeit die Erkenntnis allgemein würde, daß nicht nur der Kampf mit
materiellen Waffen, sondern auch das Hineinstürmen in die friedlose politische Agitation
mit der Friedensmission des Priesters sich nicht vertrage, dann würde dies gewiß von
vielen als weitere höchst wertvolle Segnung des schönen Gesetzes begrüßt werden.
Ein Herrscher, der zu seinem Volke sprach: „Zu
Großem sind wir bestimmt, und herrlichen Tagen
führe ich euch noch entgegen“, und der diese herrlichen Tage nicht durch Krieg
heraufführen wollte — wie schon sein stetes Eintreten für den Frieden zeigt, dessen
Segnungen er seinem Volke fünfundzwanzig Jahre lang, oft unter den schwierigsten
Verhältnissen, zu erhalten gewußt hat —, ein solcher Herrscher konnte nicht dulden,
daß ein Orittel der Bevölkerung grollend und verstimmt beiseitestehe. Mit seinem Ge-
rechtigkeitssinn und seinem Wohlwollen verband sich seine staatsmännische Klugheit,
um die bisher immer noch in die Opposition gedrängten Volksteile zu freudiger posi-
tiver Mitarbeit an des Reiches Wohl und Größe zu bestimmen. Es gibt Impondera-
bilien, die aber ein feinfühliger Herrscher in ihrer Wirkung auf die Pspche des Volkes
zu schätzen weiß; es gibt kleine Aufmerksamkeiten, die in ihrem Zusammenhang unter
sich und mit anderen Zügen Symptome großen Wohlwollens sind. Wilhelm ll. hat
es an großen und kleinen Gnadenerweisen für die katholische Minorität seiner Unter-
tanen niemals fehlen lassen, und wenn am Ende seiner ersten fünfundzwanzig Regie-
rungsjahre die deutschen Katholiken ein Vertrauen gegen den Träger der Krone und
seine Regierung bekunden, wie es zu Anfang der Periode unerhört gewesen wäre, so
ist das in erster Linie des hochsinnigen, gerechten und klugen Kaisers Verdienst.
Gewinnung bder Katholiken.
Eine Vorahnung dieser Kirchenpolitik weckte
Gute Beziehungen zum Papste.
blehungen Papst sofort der Besuch, den der neue Herrscher
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